Hallo, ich bin die Gladbecker Straße…
Ich habe lange geschwiegen, aber jetzt werde ich reden. Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr. Meine Haut hat Risse und meine unzähligen Wunden sollen nicht versorgt werden. Wären da nicht die vielen Menschen, deren Heimat sich an mich anschmiegt, ich würde meinen Schlund öffnen und all die vertilgen, die mich seit Jahrzehnten quälen und aushöhlen. Sie nennen mich eine wichtige Verbindungsader, verklumpen aber mein Blut bis zum Infarkt. Längst ist mein Herzstolpern auf die Menschen und Häuser, auch in den Nebenadern, übergegangen.
Straßen, redet ein Wort! (Goethe)
Ja, das werde ich jetzt tun, ich will erzählen von der mir widerfahrenen grobschlächtigen Behandlung. Als man mich ohne meinen Willen irgendwann zu einer Bundesstraße machte, wurde mein Ruf zugedeckt mit einem Mantel der Funktionalität.
Ich sah die Tränen derjenigen, denen man die Vorgärten enteignete und musste zusehen, wie die Infrastruktur mehr und mehr zerbrach. Und ach, es ist zum Verzweifeln, was haben die großkopferten Wölfe im kleinkarierten Schafspelz nicht alles über mich gesagt. Und alles nur, um eine ganze Stadtgesellschaft zu betäuben.
Schöner sollte ich werden, meinen anwohnenden kleinen und großen Menschen sollte es besser gehen und die durchfahrenden Besucher sollten sich ob meiner netten Anmutung wohlfühlen.
Pfui, nichts als Absichtserklärungen und Lippenbekenntnisse haben sie abgesondert, nichts als Nebelkerzen haben sie gezündet, nichts als von Unkenntnis geprägtes Geschwätz kam aus ihren von Machbarkeitsplansucht geschwängerten Köpfen. Allen warmen Worten folgte kaltherziges Wegducken. Immer und immer wieder. Sie ignorierten mich und sonnten sich im Applaus, als sie meine Schwester im Süden in Flüsterasphalt kleideten.
Feige, fantasielos und voller Lügen hüllten sie mich in einen giftigen Nebel, der auch meine lieben Menschen hier narkotisierte. Still sind die Menschen geworden, obwohl sie schreien sollten, so laut schreien, dass all die lärmenden Transit-LKW übertönt werden. Brüllen sollten sie, weil man sie abschätzig ansah und abhängte. Hämisch tuschelten die Verantwortlichen hinter dem Rücken der Menschen, lachten auf Champagner-Empfängen über sie und spielten grinsend ihr hinterhältiges Spiel der Totalverweigerung von Verantwortungsübernahme. Am Ende wurde durch das Nichtstun der Großen eine Diskreditierung der Kleinen. Meine Menschen und ich haben keine Lobby, keine Fürsprache und unser Image ist gleichermaßen schlecht wie falsch. Wir werden nicht mehr schweigen. Wir werden genesen, regenerieren, erstarken.
Autor:Susanne Demmer aus Essen-Nord |
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