Fast 68 Jahre nach der bedinglosen Kapitutation der Wehrmacht - ein später Sieg der Weltkriegsgeneräle von Seeckt und von Einem

Hans von Seeckt - in Rüttenscheid noch immer ein Militär mit Zukunftsoption in Blech. Sicher würde er sich gern bei ProVon, CDU, FDP, Piraten und dem EBB bedanken: - Wie heißt es so treffend auf seiner Grabplatte auf dem Berliner Invalidenfriedhof: Über Gräber vorwärts !
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  • Hans von Seeckt - in Rüttenscheid noch immer ein Militär mit Zukunftsoption in Blech. Sicher würde er sich gern bei ProVon, CDU, FDP, Piraten und dem EBB bedanken: - Wie heißt es so treffend auf seiner Grabplatte auf dem Berliner Invalidenfriedhof: Über Gräber vorwärts !
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Nach dem Ende des Strassen(kultur)kampfs in Rüttenscheid zeigt sich eine fast euphorische Siegerstimmung im Lager der Generalsfront. Mit ihren 10.876 Ja-Stimmen von insgesamt 45.525 Wahlberechtigten setzten sich tatsächlich fast 3/4 der interessierten 30% an WählerInnen in Rüttenscheid, Bergerhausen, Rellinghausen und Stadtwald für den Verbleib der beiden Generäle auf ihren Strassenschildern ein. Bei nur 2.766 Nein- Stimmen gegen von Seeckt und von Einem stören sich eindeutig zuwenig BürgerInnen im Stadtbezirk II an den falschen Reihswehr- und Wehrmachtshelden. Die Wiedereinführung der alten bis 1937 gültigen Mädchennamen hat also erst einmal keine Chance.
Die Leistungsbilanz von Hans und Karl ist ja auch imponierend - tatkräftig hatten sie an führender Stelle daran mitgearbeitet, Deutschland für zwei Eroberungskriege fit zu machen. Derlei große Dinge konnten nun die alliierten Gruppen um die früheren Namen Ortrud und Irmgard nicht für sich behaupten. In den Medien des WAZ-Konzerns fiel bei der Analyse des ProVon-Wahlerfolgs deshalb der interessante Begriff des "Kantersiegs", der laut Lexikon einen besonders hohen mühelos errungenen Sieg beim Wettkampf entspricht.
Natürlich wird in bestimmten Zirkeln jetzt auch gehofft, dass die bisherige Rot-Grün-Rote Mehrheit im Stadtbezirk jetzt auch in anderen Bereichen wie Verkehrsführung oder stadtplanerischen Aufgaben ins Wackeln kommt.

Generalsachse contra Ortrud und Irmgard-Alliierte

Schauen wir doch mal auf einen naheliegenden Zahlenvergleich: Bei der letzten Wahl zur Bezirksvertretung II hatte es hier bei einer Wahlbeteiligung von 56,8% für CDU, Essener Bürgerbündis und FDP insgesamt 11634 Wahlkreuze gegeben, was ja doch in etwa den Ja-Stimmen für die Generäle beim Bürgerentscheid anfang Februar 2013 entspricht. Rot-Grün-Rot hatte zum gleichen Datum hier 13774 WählerInnen für den Bezirk II gewonnen. Wenn wir bedenken, dass auch Gruppen außerhalb der Bezirksvertretung, wie die Piratenpartei, die NPD oder die Republikaner Öffentlichkeitsarbeit für den Erhalt der Straßennamen aus der NS-zeit gemacht haben, relativiert sich der angebliche Kantersieg gegen das Netzwerk Irmgard und Ortrud durchaus.
Was die Zahl realer Wählerinnen betrifft, ist der Stadtbezirk II jetzt durchaus nicht nach rechts gekippt. Die kritische Frage muss alerdings lauten, wieso sind im sogenannten links-alternativen Spektrum nur so wenig Menschen wählen gegangen, dass es nur zu 20% gegen die Generäle reichte.
Ist die Auseinandersetzung mit öffentlich sichtbaren Resten nationalsozialistischer Stadtkultur angesichts wachsender wirtschaftlicher Probleme zu einem von uns überbewerteten Randproblem geworden? Wieso waren bei CDU, EBB und FDP alle irgendwie in der Stadt bekannten Mandatsträger so regelmäßig im General-Strassenwahlkampf präsent, und wie war es bei uns?
Warum war es so zäh, aus dem Personenkreis einer künstlerisch-kritischen, bildungsbürgerlichen Stadtgesellschaft nachhaltige Unterstützung für das Netzwerk Irmgard und Ortrud zu b gewinnen?. Bevor wir uns in den nächsten Kampf um die kulturelle Lufthoheit gegen alte Militaristen, rechte Schriftsteller oder Antidemokraten werfen, müssen solche Fragen wohl deutlich geklärt werden.
Das Netzwerk irnmgard und Ortrud hat eine ausführliche Nachschau der vergangenen Monate, des Bürgerentscheidergebnisses und dem Ausblick für notwendiges Weiterarbeiten vorgelegt. Hier der Text ihrer Presseerklärung:

Demokratisches Votum für autoritäre Generäle

Bürgerentscheid bestätigt nach Aufsehen erregendem Wahlkampf umstrittene Straßenbenennungen der Nationalsozialisten

IIn einem Bürgerentscheid am 3. Februar in Essen wurde über die Rückbenennung zweier 1937 nach den Militärgenerälen Hans von Seeckt und Karl von Einem umbenannten Straßen abgestimmt. Die Wahlberechtigten im Essener Stadtbezirk II bestätigten mit großer Mehrheit die seinerzeit durch die Nationalsozialisten vorgenommenen Ehrungen der preußischen Generaloberste. Von Seeckt baute das Heer in der Weimarer Republik zum demokratiefeindlichen „Staat im Staat“ um, sympathisierte offen mit der extremen Rechten und befürwortete die Zerstörung Polens.

Von Einem war u.a. als preußischer Kriegsminister mitverantwortlich für den Völkermord an 65.000 Menschen in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Im Ersten Weltkrieg ließ er in Belgien ganze Dörfer abbrennen und die Zivilbevölkerung unterschiedslos erschießen.

Die Bezirksvertretung des entsprechenden Stadtbezirks hatte im Mai 2012 mit der aus SPD, Grünen und Linken bestehenden Mehrheit eine Rückbenennung in die vor 1937 geltenden Straßennamen Irmgardstraße und Ortrudstraße beschlossen. Mit einem Stimmverhältnis von 79,7 zu 20,3 Prozent konnten sich in einem Bürgerentscheid am letzten Sonntag die Befürworter der Generalsnamen Von-Seeckt-Straße und Von-Einem-Straße überaus klar durchsetzen. Der Gewinner der Wahl, die Anwohnerinitiative „ProVon“, wurde durch die Essener CDU, FDP, den Piraten und einer freien Liste (EBB) unterstützt.

Anwohnerinitiative Irmgard und Ortrud

Neben SPD, Grünen und Linken setzte sich eine andere Anwohnerinitiative „Irmgard und Ortrud“ für die Rückbenennungen der beiden Straßen ein. Sie erhielt dabei die Unterstützung des Essener Geschichtswissenschaftlers Prof. Dr. Frank Becker sowie des Von-Einem-Experten Prof. Dr. Rüdiger Lautmann, der für die Berliner Diskussion um die Umbenennung der Einemstraße im Jahre 2010 eine Expertise über den ehemaligen preußischen Kriegsminister abgab. Neben den aktuellen geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen, die seit geraumer Zeit unisono den maßgeblichen Einfluss der preußischen Militärelite bei der Machtübernahme Hitlers herausstreichen, wiesen die Professoren Becker und Lautmann auf die antidemokratischen, minderheitendiffamierenden und völkerverachtenden Einstellungen und Militärbiografien der beiden Generäle hin, die zudem die Nationalsozialisten seit Beginn der 1930er-Jahre aktiv und öffentlich protegierten.

Nach Auffassung der Essener Rückbenennungsbefürworter passt es nicht zu einer weltoffenen, toleranten und demokratischen Gesellschaft, dass von Seeckt und von Einem durch Straßennamen geehrt werden. Weitere aktuelle Forschungsinformationen zu den beiden Generälen und zu den Argumenten der Rückbenennungsbefürworter unter www.irmgard-und-ortrud.de.

Für die Netzwerkinitiative Irmgard und Ortrud war die eindeutig negative historische Bewertung der beiden Generäle Kernpunkt ihrer Argumentation für eine Rückbenennung der beiden Straßen. Leider war es nicht gelungen, diese inhaltliche Frage sachlich in den lokalen Medien zu diskutieren: Weder die Expertise von Essener und auswärtigen Historikern, noch Berichte über Recherchen und Informationsveranstaltungen der Initiative fanden in der Presse adäquate Berücksichtigung. Diese Nichtbeachtung des wissenschaftlichen Sachstandes ist aus Sicht der Initiative Irmgard und Ortrud deprimierend und bestürzend zugleich: Denn das überwältigende Votum des Essener Bürgerentscheids brachte zum 80. Jahrestag der Machtübernahme Hitlers das bizarre Resultat, dass der willkürliche Umbenennungsbeschluss der Essener Nationalsozialisten nun sogar eine demokratische Legitimation durch die Bürger Essens erhält.

Nicht zuletzt ist es eine ironische Fußnote der Geschichte, dass ausgerechnet diese beiden Herren, die Demokratie gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser, aufgrund eines zutiefst demokratischen Prozesses weiter auf Essener Straßenschildern geehrt werden.

Trotz der gescheiterten Straßenrückbenennung will die Anwohnerinitiative Irmgard und Ortrud ihre historische Erinnerungsarbeit in den beiden Straßen fortsetzen. So möchte sie z.B. die Holocaust-Opfer der beiden Straßen, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in sogenannten „Judenhäusern“ zusammengezogen und anschließend in Vernichtungslagern ermordet wurden, mit „Stolpersteinen“ ehren.

Netzwerk Irmgard und Ortrud

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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