Essener Norden wehrt sich gegen Asylunterkunft - SPD fordert Zeit

Das Grundstück am Graitengraben soll als Unterkunft für Asylbewerber dienen. Fotos: Gohl
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  • Das Grundstück am Graitengraben soll als Unterkunft für Asylbewerber dienen. Fotos: Gohl
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Nur "zur Kenntnisnahme" lagen der Bezirksvertretung VI vergangene Woche die Pläne zur Unterbringung der Asylbewerber in Essen vor. Bei den Bürgern, von denen rund 100 zur öffentlichen Sitzung hinzu gekommen waren, gab es allerdings massiven Gesprächsbedarf.

Vor allem der Graitengraben 81 (rund 70 Plätze) erregt die Gemüter. "Die Leute sind einfach anders, sie tun nichts für die Ordnung und passen nicht in die Siedlung!" Einer Mutter von der gegenüberliegenden Straßenseite zum Grundstück, selbst polnischer Herkunft, stehen die Tränen in den Augen. Und nicht nur sie fühlt sich von den Plänen überrumpelt. "Schweinerei" schallt es aus den Reihen, man fühlt sich "von der Stadt im Stich gelassen". Warum ein festes Asylbewerberheim in einen sozialen Brennpunkt setzen, wo der Müll ohnehin meterhoch in den Vorgärten stünde, Schmierereien die Hauswände verunstalteten und eine multikulturelle Gemeinschaft bereits jetzt mit allen Hürden der Integration zu kämpfen habe?

Immer der Nordosten!

"Immer der Nordosten!", werfen die Anwohner der Stadt eine ungerechte Verteilung der Standorte vor - und erhalten zumindest in diesem Punkt auch Rückendeckung aus der Politik. Für den (selbstprognostizierten) Wertverlust ihrer Immobilien möchte diese jedoch nicht aufkommen. Auch wenn die BV VI zugestehen muss, dass den Eigentümern einstmals eine Reihenhaus-Siedlung zugesichert wurde, in der keine Mehrfamilienhäuser oder Supermarkt-Bauten vorgesehen waren. Weitere Kritikpunkte sind die verringerte Anzahl an Parkmöglichkeiten sowie erhöhte Hochwassergefahr. Es wäre schließlich nicht das erste Mal und ein Rückstau nach weiterer Bebauung nicht auszuschließen. Drohende Straßenschäden aufgrund von Baufahrzeugen, Sperrmüllansammlungen, Ratten - die Liste der Ängste scheint endlos und schwankt stets auch hart am Rande von Ausländerfeindlichkeit.

Asylbewerber nicht zu Sündenböcken machen!

Ulrich Lenser, Lehrer an der katholischen Hauptschule Katernberg, findet die Äußerungen teils "erschütternd". Müll auf Spielplätzen und anderswo sei bestehende Realität und das nicht nur im Essener Norden. Sich "keinen Sündenbock für bestehende Problem" zu suchen, dazu ermahnt er. Es wird noch viel Zeit und Gespräche brauchen, bis die Sorgen in den Köpfen der Bürger kleiner werden. Da nützen auch Positivbeispiele wie zuletzt das der Behelfsunterkunft in Frintrop nichts - zumal die Perspektive einer dauerhaften Einrichtung die gesamte Problematik noch einmal zu verschärfen scheint. Und dann läuft parallel ja auch noch die Diskussion über die Gesetzeslage. Sollte die Bundesregierung zukünftig Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo als so genannte sichere Herkunftsländer einstufen, sinkt voraussichtlich auch wieder der Bedarf an Plätzen und die Stadt wird sich hinterfragen lassen müssen, ob ihre schnelle Reaktion nicht doch überstürzt und kopflos war.

Und das haben die Bezirksvertreter dazu gesagt:

- SPD: Fraktionsvorsitzender Andre Vollmer hat „Bauchschmerzen“ bezüglich des Standorts Graitengraben. Wichtige Komponenten wie die Sicherung der Nachversorgung fehlten; auch die angrenzende Nelli-Neumann-Schule stelle ein Problem dar. Im Namen seiner Fraktion bat er den Rat der Stadt Essen, die Auswahl noch einmal zu überdenken. Dennoch lobte er das Modell der (auf alle Standorte angedachte) 24-Stunden-Betreuung und wiederholte die Aussage des Sozialdezernenten Peter Renzel, dass es sich bei den Belegungszahlen (hier 70 Plätze) lediglich um einen Pool, nicht um tatsächliche Auslastungen handele, die dieser mit etwa 50 Prozent prognostizierte.
- CDU: Rudolf Vitzthum (Fraktionsvorsitzender) erinnerte die Bürger daran, dass man eine Diskussion „über Menschen, nicht über Asylanten“ führe und lobte die erstklassige Arbeit Renzels. „Warum hier und nicht da?“, mit dieser Frage sei der Sozialdezernent in allen Stadtgebieten konfrontiert und überall fände man entsprechende Argumente. Zudem seien in der Vorauswahl bereits Grundstücke ausgeschieden, bei denen man „nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“ könne. „Und ein Wunsch im vergangenen Jahr war ja auch der nach menschenwürdiger Unterbringung fern von Schulen und Turnhallen!“ Als Vorschlag zur Annäherung brachte er die „Container-Lösung“, es müsse schließlich nicht ein massiver, unbefristeter Bau werden. So erhalte man sich die Möglichkeit, den Standort bei Besserung der Flüchtlingssituation noch einmal zu überdenken. „In der Vergangenheit wurden auch schon Heime wieder abgebaut, das vergisst man schnell.“
- EBB: Barbara Rittel vom Essener Bürger Bündnis mag dem Standort Graitengraben definitiv nicht zustimmen. Sie übt vor allem Kritik an der städtischen Vorgehensweise: „Erneut hat kein Dialog mit der Bevölkerung stattgefunden.“
- Bezirksbürgermeister Michael Zühlke (SPD) rechtfertigt die „kurzen Reaktionszeiten“ der Politik. Die Prognosen seien unbeeinflussbar und die Zeit dränge, schließlich beginne der verwaltungstechnische Winter - und dann seien auch wieder vermehrt Flüchtlinge aus kälteren Regionen zu erwarten - bereits im August. Bei fünf bis sechs Monaten Bauzeit seien Entscheidungen noch im Februar somit zwingend. Die Frage nach der sozialen Akzeptanz des Standort sowie die Bitte um Prüfung der Containerlösung wird man an den entscheidungsbefugten Rat weitergeben.

Rat tagt Mittwoch - SPD will nicht abstimmen

Der Rat der Stadt befasst sich am Mittwoch (26. Februar, 15 Uhr, Ratssaal im Rathaus) mit der Thematik - sicherlich auch vor größerem Publikum. Bei positivem Beschluss bliebe den Bürgern dann lediglich noch das Instrument des Bürgerentscheids. Unterstützung finden Kritiker nun aber auch aus SPD-Reihen. Wie die Ratsfraktion einige Tage nach der Bezirksvertretungssitzung bekannt gab, werden die Sozialdemokraten am Mittwoch noch nicht über die städtischen Pläne abstimmen. "Weiteren Beratungsbedarf" meldete Fraktionschef Rainer Marschan an. Gründe seien vor allem die Schieflage in der Verteilung der Standorte über das Essener Stadtgebiet (mehr Nord als Süd), die späte Einbindung der Bezirksvertreter in den Prozess sowie die angedachte Änderung in der Asylgesetzgebung, die eine deutliche Bedarfsverringerung zur Folge haben könnte. Auch CDU-Fraktionschef Thomas Kufen äußerte Bedenken zu den Plänen. Zur Klärung wird voraussichtlich Politikern wie Bürgern nun ein wenig mehr Zeit als ursprünglich gedacht zur Verfügung stehen.

Autor:

Sara Drees aus Dortmund

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