„Die Deutsche Bahn will unsere Kampferfolge der letzten 10 Jahre zunichtemachen.“ Gespräch mit Sven Schmitte (Vorsitzender des GDL-Bezirks NRW)
Am 5. November hatten wir von „Essen steht AUF“ Gelegenheit zum persönlichen Gespräch mit Sven Schmitte, NRW-Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) in der GDL-Geschäftsstelle in Düsseldorf. Das war auch der Tag, an dem sich die Medienkampagne gegen die Streiks der GDL und gegen ihren Vorsitzenden Claus Weselsky zu einer üblen Schmutzkampagne steigerte. Voller Empörung zeigte uns Sven Schmitte Aufnahmen von Zeitungstiteln, die er am Morgen mit dem Smartphone gemacht hatte. Darunter auch das BILD-Titelblatt, wo offen zum Telefonmobbing gegen den GDL-Vorsitzenden aufgerufen wurde.
Auch wenn nach der vorzeitigen Beendigung des 6. Streiks in der laufenden Tarifrunde die offene Hetze in den Medien zurückgefahren wurde und auch sachliche und verständnisvolle Berichterstattung ein wenig Raum bekommen hat, tun Aufklärung und Solidarität weiter Not. Denn wenn die Deutsche Bahn (DB) bei ihrer bisherigen Haltung bleibt, sind weitere Arbeitskämpfe vorprogrammiert. Und bestimmte „Qualitätsjournalisten“ stehen schon in den Startlöchern, um ihr schmutziges Geschäft der Verunglimpfung dieses berechtigten Kampfes wieder aufzunehmen.
Im Gespräch hob der Kollege Schmitte zunächst einmal hervor, um welche Forderungen es überhaupt geht.
„Wir sind in diese Tarifrunde gestartet mit einem besonderen Schwerpunkt auf Forderungen zu Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten. Aber auch die Lohnforderung ist uns natürlich wichtig. Seit rund 10 Jahren besteht eine chronische Überbelastung beim gesamten Zugpersonal und besonders bei den Lokführern. Allein die Lokführer schieben über 3 Millionen Überstunden vor sich her. Im Durchschnitt hat jeder Lokführer 150 Überstunden, manche Kollegen haben bis zu 1000 Überstunden. Allein um diese Überstunden abzubauen, müssten rund 1800 Lokführer neu eingestellt werden. Da sind der langjährige Personalmangel und die altersbedingten Abgänge noch gar nicht berücksichtigt. Gerade im Nahverkehr kommen viele Kollegen bei einer 6-Tage-Woche mit bis zu sieben Schichten auf eine 60-Stundenwoche.“
Was fordert die GDL?
„Deshalb fordern wir eine Überstundenbegrenzung auf maximal 50 Stunden im Jahr, eine Absenkung der Wochenarbeitszeit um zwei Stunden und eine echte 5-Tagewoche für Lokführer und Zugbegleiter, um damit auch im erforderlichen Maß Neueinstellungen durchzusetzen. Für die Lokführer fordern wir außerdem eine Fahrzeitbegrenzung.“
Mir leuchten diese Forderungen unmittelbar ein und ich denke, sie sind auch im Interesse der Bahnkunden. Denn unter der chronischen Überlastung der Beschäftigten leidet letztlich auch die Sicherheit des Bahnverkehrs. Nun wird der ganze Konflikt in den Medien ständig als „Machtkampf“ zwischen der GDL und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) dargestellt, wobei die arme DB und die Interessen der Bahnkunden angeblich zwischen den Fronten zerrieben werden.
„Ein geschickter Schachzug der DB, um sich selbst als Opfer zu inszenieren und die Bahnkunden gegen uns aufzubringen. Es ist nur traurig, dass die Medien sich weigern, das kritisch zu hinterfragen“, meint Sven Schmitte und führt weiter aus:
„Wir führen keinen Kampf gegen die EVG, mit der wir auch keine Tarifverhandlungen führen. Wir haben auch nicht zu bewerten, was die EVG fordert, denn das beschließen deren Mitglieder. Worauf wir aber bestehen, ist, dass wir für alle unsere Mitglieder Tarifverträge abschließen können. Das ist unser gutes und höchstrichterlich verbrieftes Recht, auf das wir nicht verzichten werden. Immerhin sind von den 37.000 Beschäftigten im Bereich des Fahr- und Zugpersonals 19.000 bei uns organisiert und nur 8.000 bei der EVG. “
Die Bahn tut ja so, als sei das Bestehen mehrerer Tarifverträge für eine Berufsgruppe undurchführbar.
„Dass ausgerechnet die Deutsche Bahn als der weltgrößte Logistikkonzern damit überfordert sein soll, ist lächerlich. In allen anderen Bahnbetrieben, wie bei Eurobahn oder Nordwestbahn ist das seit Jahren problemlos möglich. Hier geht es um etwas ganz anderes, nämlich darum, dass man unsere Koalitionsfreiheit und unser Streikrecht beschneiden will.
Die DB hatte Kooperationsverhandlungen zwischen ihr, der EVG und der GDL zur Voraussetzung für Tarifverhandlungen gemacht. Im Sommer gab es vier Runden solcher Kooperationsverhandlungen. Dabei ging die DB so weit, selbst unsere Tarifmächtigkeit für die Lokführer in Frage zu stellen. So schlug die DB ernsthaft vor, dass wir bei den Lokführern nur noch für die Entgelttabelle zuständig sein sollten. Alle Fragen der Arbeitsbedingungen und Arbeitszeit sollte dagegen die EVG verhandeln. Damit wollte die DB unsere ganzen Kampferfolge der letzten 10 Jahre zunichtemachen. Wir haben einen eigenen Kooperationsvertrag vorgelegt, der von der DB und der EVG einfach ignoriert wurde. Daraufhin haben wir diese Verhandlungen im August beendet und sind in die eigentlichen Tarifverhandlungen eingestiegen.“
Mit welchem Ergebnis?
„Mit dem Ergebnis unzumutbarer Angebote der Bahn. 5 Prozent Lohnerhöhung - aber bei 30 Monaten Laufzeit. Zur Arbeitszeit gab es kein Angebot. Und dies alles sollte nur für die Lokführer gelten. Das war in jeder Hinsicht unannehmbar, vor allem aber wegen der Einschränkung unserer Grundrechte als Gewerkschaft. Wir haben dann eine zweiwöchige Streikpause gemacht, um der DB Gelegenheit zu geben, ihre Standpunkte zu überdenken. Am Ende der Gespräche, die in dieser Zeit stattfanden, legte die DB dann einen Vertragsentwurf vor, in dem sie erstmals schriftlich festhielt, dass es ihr wesentlich darum ging, die GDL zu einer bedeutungslosen Organisation zu machen. Bisher hatte die DB das immer als Hirngespinste unseres Vorsitzenden abgetan und z.B. behauptet, die GDL würde doch einen eigenständigen Zugbegleiter-Vertrag bekommen. Das hätte dann so ausgesehen, dass wir einen Vertrag, den die EVG ausgehandelt hätte, nur noch unterschreiben durften – unter Verzicht auf ein eigenständiges Streikrecht und dem Zwang zur Friedenspflicht bei nicht gleichlautenden Forderungen. Dazu sollten wir unsere Zuständigkeit für Zugbegleiter und anderes Fahrpersonal an die EVG abgeben sollen. Im Gegenzug sollte die EVG die Zuständigkeit für die (wenigen) bei ihr organisierten Lokführer an uns abgeben. Man sollte eigentlich erwarten, dass ein solcher Angriff auf die Koalitionsfreiheit auch bei der EVG einen Aufschrei hervorruft. Schließlich werden hier Kolleginnen und Kollegen, die sich aus freien Stücken in einer bestimmten Gewerkschaft organisiert haben, zu einer Manövriermasse für die Interessen der DB degradiert. Dieser „Vertrag“ wurde von unserer 30-köpfigen Tarifkommission, in der die Hälfte fahrende Kollegen sind, einstimmig abgelehnt.“
Um was geht es der DB bei diesen ganzen Manövern?
„Mit der Einschränkung der Rechte der GDL sollen auch hart erkämpfte Fortschritte rückgängig gemacht werden. So war es die GDL, die 2010/2011 einen Flächentarifvertrag für die Lokführer erkämpft hat. Bis auf wenige Ausnahmen gilt der bei fast allen Verkehrsunternehmen und verhindert Lohndumping z.B. bei einem Wechsel von der DB zu einem Privatanbieter wie Eurobahn. Die DB möchte dagegen den Lokführertarif in ihren Haustarif integrieren (damit er ins „EVG-System“ passt). Damit wäre der Flächentarifvertrag weg.“
Wie sieht die GDL das geplante Gesetz zur „Tarifeinheit“? Würde ein solches Gesetz die Gewerkschaftsbewegung nicht noch mehr zersplittern?
„Wir sehen das mit Sorge. Aber das Gesetz hat weniger mit unserer Tarifrunde zu tun, als mit dem generellen Versuch, konsequente gewerkschaftliche Interessenvertretung einzuschränken. Das trifft letztlich alle Gewerkschaften. Selbst aus der EVG hört man zu dem Gesetz jetzt widersprüchliche Meinungen. Bei einigen kleineren privaten Betrieben wäre z.B. die EVG dann nicht mehr tarifmächtig, weil hier bis zu 70 Prozent der Belegschaft Lokführer sind. Es ist sowieso fraglich, ob so ein Gesetz vor dem Verfassungsgericht Bestand hätte.“
Der Versuch, die GDL, ihren Arbeitskampf und ihren Vorsitzenden zu diskreditieren ging ja bis zur offenen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der GDL, durch Aufbauschen einer angeblichen Opposition und Aufrufen zum „Sturz“ von Claus Weselsky in der Presse.
„Was sich da in den Medien abgespielt hat, hätte ich nicht für möglich gehalten. So wurde im Deutschlandfunk ein einzelnes GDL-Mitglied interviewt, das sich unter anderem für einen Rücktritt von Claus Weselsky aussprach. Daraus wurde dann gemacht: Lokführer fordern Rücktritt! Ich habe dann beim DLF angerufen und mich beschwert, worauf das als ganz normales Vorgehen gerechtfertigt wurde. Der Versuch der Medien, mit Hilfe einer kleinen Gruppe von 12 bis maximal 20 Leuten Spaltung in die GDL zu tragen, hat das Gegenteil bewirkt und bei unseren Leuten zu einem massiven Vertrauensverlust in die Medien geführt.“
Wie kann man in dieser harten Auseinandersetzung der GDL den Rücken stärken?
"Unsere Kolleginnen und Kollegen freuen sich über jede Solidaritätsbekundung. Wir haben sogar eine Solidaritätserklärung von argentinischen Eisenbahnern bekommen. Was unsere Leute richtig motiviert und aufgebaut hat, war der Beitrag des Kabarettisten Max Uthoff in der Sendung „Die Anstalt“.
Wir haben uns auch sehr darüber gefreut, dass wir mittlerweile auch aktive Fahrgast-Solidarität durch Pro-GDL Unterstützungs-Aktionen in Münster und Köln erleben durften.
Wir bitten natürlich alle Reisenden um Verständnis und wir bitten auch darum, den Blick mal auf den wirklichen Verursacher dieses Konflikts zu richten: die DB."
Hier noch der Link zu einem Video, das die Fahrgast-Solidarität in Münster dokumentiert:
https://www.youtube.com/watch?v=jU4uBilYYio&feature=youtu.be
Autor:Bodo Urbat (Essen steht AUF) aus Essen-Nord |
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