40 Jahre Grüne Partei in Essen
3. Februar 1980 - Gründungstag des Grünen Kreisverbands auf der Margarethenhöhe

Karikatur von Harald Juch auf einem grünem Kalender für 1990 - als die Grünen mit 5,01 % der Wahlstimmen erstmals in den NRW Landtag einziehen konnten.  Bei den NRW Landatgswahlen 1985 waren die Grünen noch ganz knapp an der 5% Sperrklausel gescheitert.  10 Jahre hatte es also doch gedauert, bis die Grünen mit einer Fraktion auch im NRW-Landtag vertreten waren. | Foto: Walter Wandtke
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  • Karikatur von Harald Juch auf einem grünem Kalender für 1990 - als die Grünen mit 5,01 % der Wahlstimmen erstmals in den NRW Landtag einziehen konnten. Bei den NRW Landatgswahlen 1985 waren die Grünen noch ganz knapp an der 5% Sperrklausel gescheitert. 10 Jahre hatte es also doch gedauert, bis die Grünen mit einer Fraktion auch im NRW-Landtag vertreten waren.
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40 Jahre grüne Politik in Essen ist ein solides Jubiläum und guter Anlaß, Rückschau zu halten, was in den Jahrzehnten danach durch die Grünen, eine Grün-Alternative Liste GAL und mit ihnen verbundene Gruppen in dieser Stadt bewegt werden konnte.
Nachfolgend wird leicht gekürzt ein Interview wiedergegeben, dass vor 10 Jahren im Studio der Bürgerradiowerkstatt Neue Essener Welle in Altenessen mit Udo Steinhauer geführt wurde.
Udo Steinhauer war im Februar 1980 eines der Gründungsmitglieder und auch einer der beiden Protokollführer, die im Gasthof auf der Margarethenhöhe einen Grünen Kreisverband für Essen aus der Taufe hoben. Heute ist Udo Steinhauer zwar nicht mehr als Lehrer aktiv, aber weiterhin den Grünen verbunden, unter anderem als sachkundiger Bürger der Grünen Ratsfraktion im Schulausschuss.

Vorläufer "Wählergemeinschaft
-   Grüne Liste" zur Kommunalwahl 79

Der 3. Februar 1980, ein turbulenter Sonntagnachmittag und Abend im sonst sehr beschaulichen Versammlungsort „Hotel Margarethenhöhe“, ist der offizielle Geburtstagstermin des heutigen Kreisverbands von Bündnis 90 /Die Grünen in Essen. Schon in den Kommunalwahlen im September 1979 hatte eine „Grüne Liste“ als Wählergemeinschaft immerhin den Achtungserfolg von 1,5 % erzielen können.
Wenige Monate später waren auch die amtlich notwendigen 7 Personen bereit, um aus dem Kampf von Bürgerinitiativen gegen Umweltvergiftung und Atom-Staat eine offiziell registrierte Partei „Die Grünen“ werden zu lassen.
Am Gründungstag 3. Februar 1980 wollten bereits 40 umweltbewegte Essener*innen für unsere Stadt einen Kreisverband der Grünen ins Leben rufen. Rund 7 Stunden, von 14 - bis 21 Uhr  dauerte diese Gründungsversammlung. Schließlich stand es fest: Mit nur 1 Gegenstimme und einer Enthaltung wurde als  erster Kreisvorsitzender Daniel Rieser und zur ersten Kreisvorsitzenden Christiane Schnappert gewählt. Klaus-Peter Off war bei dieser Vorstandswahl der Dritte im Bunde.
2010 - eine Generation später gibt es rund 360 bündnisgrüne Mitglieder in Essen - anfang 2020 ist die Mitgliederzahl auf über 600 angestiegen
.

Grüne Parteichronik für Essen

Rein der Mitgliederstärke nach, sind Grüne also bis heute keine sogenannte Volkspartei geworden. Erst recht aber wurden Grüne keine kurzlebig schillernde Seifenblase, sondern ein dauerhafter politischer Faktor. Zwar gab es in den 40 Jahren danach auch verschiedene Einbrüche der Wahlerfolge in den anstehenden Wahlen, beharrlich bergauf ging es aber trotzdem. 
Aktuell hat Essen mit Mehrdad Mostifizadeh einen Grünen Landtagsabgeordneten, der auch stellvertretender Vorsitzender der NRW-Landtagsfraktion und ein nicht zu unterschätzender Oberbürgermeisterkandidat für die Kommunalwahlen im September diesen Jahres ist. Mit dem grünen Bundestagsabgeordneten Kai Gehring gibt es in Berlin eine erfahrene Stimme für kritische Bildungs- und Jugendpolitik, die fortbestehende Diskriminierung unterschiedlicher Minderheiten nicht hinnimmt. Nicht zu vergessen, die grüne Ratsfraktion, die gute Chancen besitzt, nach den Kommunalwahlen mit dann deutlich mehr als den 2014 gewählten 10 Ratsmitgliedern entscheidende Politik für Essen zu gestalten.
Bei geringeren Prozentergebnissen, aber deutlich höherer Wahlbeteiligung als heute, konnten die Essener Grünen z.B. bei der Kommunalwahl 1994 auch schon mal über 40000 Wahlstimmen erzielen. Das Essener Allzeithoch waren bisher 55.645 Wahlstimmen und 22,77 % bei der Europawahl im Mai 2019. Damit lagen die Grünen nur noch etwa 2000 Stimmen hinter der erstplazierten CDU.
Diese Entwicklung war vor 40 Jahren keinesfalls vorauszusehen, sondern erstes Ziel war es, überhaupt erst einmal wieder eine kritische Oppositionstimme in die politische Landschaft und ab 1984 in den Stadtrat zu bringen. Dort waren sich sich SPD wie CDU erschreckend oft einig, auch ohne dass wie jetzt eine große Koalition die Stadt regiert. Den Sprung in den Bundestag schafften die Grünen schon im März1983. Im Bündnis "GAL - Grün-alternative Liste" konnte bereits zur Kommunalwahl im Herbst 1984 mit 7 Mitgliedern eine erste GAL-Ratsfraktion gegründet werden.
Wenn auch die konkreten Namen der umweltbewegten, wie links-alternativen Gruppen in den vergangenen Jahrzehnten gewechselt haben, so sind die grundsätzlichen Zielsetzungen seid 1980 doch gleich geblieben. Geschlechtergerechtigkeit in den verschiedenen politischen Mandaten und Funktionen, Verhinderung von Kriegsgefahren und der Stopp von Rüstungswettläufen bleiben hier neben Umweltfragen entscheidende Konflikte. Vor der bisher ersten Beteiligung an einer Bundesregierung in der Koalition mit der SPD muss hier insbesondere die grüne Entscheidung zur deutschen Beteiligung am Jugoslawienkrieg 1998/99 genannt werden, an deren Zustimmung Bündnis 90/ Die Grünen fast zerbrochen wäre.

Grüne Wählergemeinschaft wird zur Partei "Die Grünen" u. nach der Wiedervereinigung zu Bündnis 90/ Die Grünen

Hier gibt es den Versuch, nachzuvollziehen, was trotz zwischenzeitlich wechselnder Namen "Grüne Aktion Zukunft", „Grüne Liste“, „Alternative – die Grünen“, „Grün-alternative Liste GAL“ bis zum heutigen „Bündnis 90 /Die Grünen“ in den vergangenen vierzig Jahren das verbindende grüne Band geblieben ist. Sollte seit der Essener Parteigründung auf der Margarethenhöhe bis zur aktuellen Themenarbeit im Kreisverbandsbüro und Grünem Zentrum am Kopstadtplatz trotzdem ein grüner Faden erkennbar sein?

Auszüge des Radio-Interviews, das Walter Wandtke mit dem Essener Gründungsmitglied der Grünen Udo Steinhauer führte.
Walter Wandtke:
Ich begrüße als Jubiläumsgast Udo Steinhauer, der nicht nur am 2. Februar 1980 als Gründungsmitglied des Essener Kreisverbands aktiv war, sondern auch in den Jahrzehnten danach den Grünen treu geblieben ist.
Udo Steinhauer:
Als kurze Vorstellung – Mein Name ist Udo Steinhauer. Ich bin Lehrer, genauer, ich bin in der Lehrerausbildung tätig. Zur Zeit arbeite ich in Düsseldorf und leite dort ein Seminar für die Lehrerausbildung. Ich führe dort eigentlich eine Arbeit weiter, wie ich sie damals als Zielsetzung für die Gründung der Grünen verstanden habe. Schon 1980 hatte mein ganzes Herz, meine Leidenschaft dafür geschlagen, etwas gegen die weitere Vergiftung unserer Umwelt zu tun.
Walter Wandtke:
Zum Beginn der Geschichte der Essener Grünen gehört vielleicht doch ein Bild. Wie kann man sich diesen Gründungstag vorstellen? Hat da jemand ganz brav eine Tagesordnung abgearbeitet oder war vielen auch klar, es könnte passieren, wieder aus diesen Hotel wieder herausgehen, ohne das einen neuen Kreisverband gibt? Kannst Du Dich überhaupt noch genau an diesen Tag erinnern?
Udo Steinhauer:
Tja ich kann mich an diesen Tag nicht so besonders erinnern, weil er für mich nicht ganz so wichtig war und andere Ereignisse in diesen Tagen bedeutsamer waren. Grundsätzlich habe ich schon eine Erinnerung daran, weil es dort erstmals die Chance ergriffen wurde, auf lokaler Ebene ein neues breites Spektrum für politisches handeln zusammenzukriegen. Zuerst gab es natürlich heftige Diskussionen um Strukturen, wollte man überhaupt so etwas wie eine klassische Partei werden? Es gab nicht weniger heftige Kontroversen um Ziele. Alles in allem war es eine chaotische Veranstaltung, aber so kannte ich das bereits von den Grünen (als Wählergemeinschaft) her, für die es ja schon Vorläuferorganisationen gab.
Walter Wandtke:
Chaotische Parteiveranstaltungen, das war ja über Jahre hinweg sozusagen ein Markenzeichen der Grünen. Krabbelnde Kinder im Versammlungssaal, strickende Delegierte, weiblich wie männlich und eine Versammlungsleitung am Rande des Wahnsinns, um trotz aller Geschäftsordnungsanträge doch noch Ergebnisse mit nach Hause nehmen zu können. Augenscheinlich war doch hier eine neue Partei am Werk, wie man sie weder von CDU, SPD , der DKP oder den noch aktiven K-Gruppen kannte.
Tatsächlich muss die Grundlage dieser neuen Partei auch in Essen schon vor 1980 gewachsen sein. Immerhin gab es eine Grüne Kandidatur schon zur Kommunalwahl 1979. Warst Du da auch schon in diesem Umfeld aktiv, in dem dann die neue Partei aufbauen konnte?
Udo Steinhauer:
Da war so eine Vorläuferorganisation, die sich so aus privaten Zusammenhängen her kannte. 1979 war das eine Gründung die im Wohnzimmer von Manfred Dullien stattgefunden hatte.
In Manfred Dulliens Wohnung in der Hektorstraße kamen damals diverse Leute zusammen. Er zu dieser Zeit auch Kontakt zu einem Mann, der die GLU in Nordrhein-Westfalen gründen wollte.
Walter Wandtke:
Das war die Grüne Liste Umweltschutz, heute ist dieses Kürzel,glaube ich, nicht mehr so bekannt.
Udo Steinhauer:
Aber diese GLU schien uns etwas zu sein, das es wert war, sich dafür einzusetzen. Wir sind damals mit mehreren Leuten aus Essen zum Hauptbahnhof nach Düsseldorf gefahren. Eingeladen hatte ein damals in NRW recht bekannter eher konservativer Umweltinitiativler. Da kamen über 50 Leute aus ganz Nordrhein-Westfalen zusammen, die der irgendwie zusammengetrommelt hatte. Seine größte Sorge war dabei, es könnten Linke dabei sein. Wie man dann unschwer im Saal sehen konnte; es waren Linke dabei. Und dann wurde die Grüne Liste Umweltschutz für Nordrhein-Westfalen gegründet.
Kurz vorher hatte es in Niedersachsen eine Wahl gegeben, da hatte eine Grüne Liste über 3 % der Wählerstimmen erreicht. Das fanden wir gigantisch, denn bisher hatten wir angesichts der 5%-Klausel gedacht, es sei für kleinere Parteien schier unmöglich sich hier durchzusetzen. Nach diesem unerwarteten Erfolg haben wir mit den sieben Leuten, die wir hatten, eine kommunale Gruppe gegründet. Das war ja die gesetzliche Mindestgröße, die man auftreiben musste, um einen Verein, genauer eine Wählergemeinschaft zu gründen.
Dann wurde natürlich die ganze übliche Prozedur gemacht – einen Vorsitzenden, Schatzmeister, Protokollführer wählen, wie es in den Statuten halt vorgeschrieben ist.
Dann haben wir Kandidaten aufgestellt Mich interessierte besonders der Essener Norden, weil ich erlebt hatte, dass es dort zementierte Verhältnisse gab. Und das reizte mich. In den siebziger Jahren hatte die SPD im Norden über 75% der Stimmen. Ich sagte mir – wollen wir doch mal sehen, ob das bei dieser Wahl so bleibt.
Walter Wandtke:
Hier hake ich mal ein, denn wenn ihr mit nur 7 Leuten eure Grüne Liste gegründet hattet, war das doch eine Riesenleistung. Wie habt ihr das denn geschafft, überhaupt in den 42 Kommunalwahlkreisen in Essen Menschen zu finden, die Kopf und Namen für euch hergeben?
Udo Steinhauer:
Nein, wir haben nur in einigen Stadtteilen kandidiert. Das war für uns ein Test dessen, was möglich war. Das Wahlergebnis war dann eine erste Ermutigung. Schließlich konnten wir keine Kandidaten aus dem Hut zaubern. Eine Gesamtkandidatur für Essen war ein Projekt, das wir uns für später vorgenommen hatten. Von unserer Analyse und von unserem Gefühl bei unseren Veranstaltungen in der Stadt musste das auch klappen. Das Thema lag in der Luft und an der Luft; es war dreckig. Der Mythos, solange die Schornsteine rauchen, geht es uns gut, den wollten wir knacken.
Walter Wandtke:
Eigentlich hatte sich damals die SPD nach dem berühmten Spruch Willi Brandts vom „blauen Himmel an der Ruhr“ den Umweltschutz doch selbst auch auf die Fahnen geschrieben. War dann aber trotzdem die Glaubwürdigkeit der SPD für die meisten schon hin?
Udo Steinhauer:

Ja, es gab keine Verbindung mehr in die SPD. Zu der Zeit war es ja nicht mehr die SPD Willi Brandts, sondern die Helmut-Schmidt-Partei. Wir Umweltschützer wurden einfach als Spinner abgetan. Wir waren jung, wollten ausprobieren, was geht. Wir fühlten uns in diesen Umweltfragen auch als Pioniere.
Walter Wandtke:

Zum andern heißt das aber doch auch, bei diesen Grünen Pionieren war die Stimmung dann eher links. Was man in Artikeln über die Gründungsphase der Grünen in Deutschland so liest, dass sich da unter Naturschützern auch braunes Volkstum und rechte Kleinparteien in die frühen Grünen gemogelt haben, das war in Essen kein Problem?
Udo Steinhauer:
Also innerhalb unserer eigenen Organisation in Essen nicht. Aber es war durchaus ein Problem woanders. Es gab dann ja auch bald eine Spaltung in eine GAZ – Grüne Aktion Zukunft, das war diese Gruhl-Richtung, der weit bekannte konservative Bundestagsabgeordnete, der aus der CDU ausgetreten war, da er mit seiner Umweltpositionen bei seiner Partei kein Gehör fand, und unserer anderen Richtung, den jetzigen Grünen.
Diese GAZ war dann die Vorläuferorganisation der jetzigen ÖDP, der Ökologisch demokratischen Partei, die in Süddeutschland und kleineren Gemeinden bis heute eine gewisse Rolle spielt.“
Soweit der Rückblick auf die bescheidenen Anfänge der Grünen Partei in Essen. - Anspruch und Möglichkeiten der Grünen sind diesen Jahren gewachsen. Dabei ist die Hoffnung geblieben, dass Widerspruchsgeist und Lust auf neue ökologisch wie sozial gerechte Wege den Grünen über die Jahrzehnte nicht kleiner geworden sind.

Fotoexkurs:
Frühe grün-alternative Jahre in Essen

Ein kommentierter Fotoanhang mit frühen Flugblattaktionen und Bewertungen des grünen Gründungsprozesses in Essen 1979/80 z.T. aus damaligen örtlichen Zeitschriften wie "Klartext"; "Standorte" oder "Lauffeuer" nachverfolgt werden.
In den späten siebziger Jahren hatte es analog zum bundesweiten "TAZ-Projekt"auch in Essen den Versuch gegeben, einer Art kritischer Gegenöffentlichkeit aufzubauen, die sich vom immer umfassenderen WAZ-Monopol abheben wollte. In der damaligen linksalternativ orientierten Monatszeitung "Klartext", die nicht mit dem heute zur Funke-Mediengruppe gehörenden Klartext-Verlag zu verwechseln ist, gab es natürlich eine besonders intensive Auseinandersetzung mit den Grünen.
Viele befürchteten angesichts der Grünen Parteigründung, dass die schon breitgefächterte Alternativbewegung auf einen parlamentarisch verengten Kurs zurückgeholt würde.

Walter Wandtke

Autor:

Walter Wandtke aus Essen-Nord

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