10 Jahre Hartz IV: Verheerende Bilanz, Verschärfungen geplant

Dietrich Keil von "Essen steht AUF" auf der Montagsdemo am 11. August: verheerende Bilanz von Hartz IV
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Den folgenden Beitrag zur Bilanz und zum weiteren Kampf gegen Hartz IV hielt Dietrich Keil vom Wahlbündnis "Essen steht AUF" auf der 10-Jahresfeier der Essener Montagsdemonstration am 11. August.

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
vor zehn Jahren waren wir in Essen mehr als tausend, die vehement protestierten gegen die Hartz-Gesetzgebung der rotgrünen Bundesregierung. Sie stellt einen in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Kahlschlag auf Kosten der Arbeitenden und der Arbeitslosen dar. Wir von ‚Essen steht AUF‘ sind stolz, damals zur ersten Essener Montagsdemo mit aufgerufen zu haben. „Weg mit Hartz IV“ – unter dieser Losung protestierte ganz Deutschland, und die Regierung richtete ein sog. Lagezentrum ein aus Angst vor einer aufstandsähnlichen Entwicklung. Und die wäre berechtigt gewesen!

Niedriglohnsektor etabliert

Denn Hartz IV hat die einstige Sozialversicherung gegen Arbeitslosigkeit mit der Sozialfürsorge verschmolzen mit der Absicht und Folge, dass ein riesiger Niedriglohnsektor etabliert wurde, sodass Deutschland bei den Löhnen in Europa ans untere Ende der Skala gerutscht ist. Arbeitslose wurden zu Sozialfällen. Und wer hätte vor 10 Jahren geglaubt, dass es inzwischen Millionen Aufstocker gibt, Menschen, die sogar von einem vollen Job nicht leben können?

Heute ist die Geschichte dieses beispiellosen sozialen Kahlschlags den jüngeren oft nicht mehr vertraut. „Weg mit Hartz IV – und wovon soll ich leben?“ Das hören wir dann. Doch wir bleiben bei der Forderung nach Abschaffung von Hartz IV, und fordern zugleich eine Arbeitslosenversicherung, die diesen Namen auch verdient. Wir fordern Löhne von den man leben kann, Wir fordern Abschaffung der unwürdigen Mini-Arbeitsverhältnisse, die den Weg in die Armut spätestens im Alter vorprogrammieren. Für all das tritt die Montagsdemo ein, und wird es weiter tun!

Es ist Unsinn, ein gesellschaftliches Problem zu kommunalisieren

Dass die Hartz-Gesetze eine Sozialreform seien, dass sie Fördern und Fordern so verbinden, dass Menschen wieder in Arbeit und Brot kommen, war und ist eine einzige Lüge. Wenn wir sowas wie eine Bilanz ziehen heute, müssen wir sagen: Die Zahlen der Hartz IV-Bezieher, die sog. Bedarfsgemeinschaften sind seit 2004 kontinuierlich gestiegen.

Die Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Arbeit ist im Verhältnis kontinuierlich gesunken. Dieses Fazit, diese Politik prangern wir an, weil es eine Kahlschlagspolitik auf Kosten der kleinen Leute und zu Gunsten von Banken und Konzernen ist.

In Essen, das in Folge des gescheiterten Strukturwandels im Ruhrgebiet einen ho-hen Sockel an Langzeitarbeitslosen hat, wurde die Bilanz durch die Einrichtung eines kommunalen Jobcenters, Stichwort Optionskommune, noch verschärft. Das haben wir von ‚Essen steht AUF‘ genauso wie die Montagsdemo scharf bekämpft.

Es ist Unsinn, ein gesellschaftliches Problem kommunalisieren zu wollen. Doch die Stadtspitze versprach sich was von den staatlichen Fördertöpfen für die Stadtkasse. Das Ergebnis waren zwei Jahre lang mehr oder weniger Chaos für die Essener Berechtigten, Arroganz, würdelose Abfertigung und immer mehr Sanktionen bei den geringsten Anlässen.

Geplante Verschärfungen des Hartz-IV-Regimes

Diese schleichende Verschärfung auf Kosten der Menschen, die immer zahlreicher gezwungen sind, sog. Kunden der Jobcenter zu werden, kennzeichnet bundesweit die Hartz-Bilanz, und ist ausdrücklich erneut für dieses Jahr geplant. Die Verschärfungen verbergen sich hinter Schlagworten von mehr Transparenz und weniger Bürokratie. 36 Einzelpunkte sollen diesen Sommer in Gesetzesform gebracht werden. Was als sog. Vereinfachung daherkommt, dient vor allem der Verwaltung in den Jobcentern, am wenigsten den Betroffenen.

Wer z.B. in eine andere, dem Gesetz nach aber auch angemessene Wohnung umzieht, erhält trotzdem nur die Kosten seiner bisherigen billigeren Bleibe erstattet. So bleibt eine weniger laute oder kindgerechtere Wohnung versagt, selbst wenn sie den Regeln entspricht. Warum? Das Amt will sich die Neuberechnungen sparen. Ebenso bei berechtigten Nachzahlungen von Leistungen. Sie sollen gestrichen werden, weil das Amt die notwendige Nachberechnung streichen will.

Da wird die Montagsdemobewegung dran bleiben, nicht zuletzt in vier Wochen bundesweit gemeinsam in Berlin. Genauso gegen die angeblichen Verbesserungen bei den seit Jahren ausufernden Sanktionen, von denen übrigens fast jede zweite rechtswidrig erlassen wird. Sie sollen lediglich etwas systematisiert, aber nicht verringert werden. Mit Recht sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband zu den neuen Plänen der Regierung: „Wenn das das Ergebnis von eineinhalb Jahren Arbeit ist, dann gute Nacht Deutschland.“
Dabei zeichnen sich neue Dimensionen ab. In Hamburg sollen Null-Euro-Jobs unter Wegfall der Merkmale, dass sie gemeinnützig und zusätzlich sein müssen, eingeführt werden. Das ist Sklavenarbeit pur! Dort soll auch eine kritische und psychosoziale Hartz-Beratung unterlaufen werden, indem nur noch nach Zuweisung vom Amt Beratung anerkannt wird.

Von solchen Versuchsballons hört man natürlich in der bürgerlichen Presse nichts. Denn sie werden auf bundesweiten Widerstand stoßen! Schon jetzt wird von vielen Verbänden und Gewerkschaften die geplante automatisierte Internet-Schnüffelpraxis zurückgewiesen, mit der man angeblichen Leistungsmissbrauch aufspüren will.

Liebe Freunde, die gesamte Hartz-Gesetzgebung hat diese Gesellschaft noch ungerechter und kälter gemacht. Umso wärmer wird einem ums Herz jeden Montag hier und anderswo - im Protest dagegen und für eine neue, lebenswerte Gesellschaft!

Autor:

Bodo Urbat (Essen steht AUF) aus Essen-Nord

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