Jürgen Welbers' Jagdrevier ist ein Friedhof
Ein Friedhof als Jagdrevier? Völlig normal. Jürgen Welbers jagt seit 20 Jahren auf Essener Friedhöfen, seit fünf auf dem Nordfriedhof. Kaninchen, Tauben, Krähen und Füchse werden von ihm erlegt. Von vielen Menschen bekommt er dafür Zuspruch, von anderen teils harsche Kritik.
Zuspruch und Kritik von Spaziergängern
„Wer ein Grab pflegt, ist froh, wenn kein Kaninchen Schaden darauf anrichtet. Spaziergänger dagegen sagen zu mir: Ich freue mich über jedes Tier.“ Was noch freundlich formuliert ist, Welbers durfte sich auch schon anderes anhören.
Dabei jagt der Mann in Grün im Auftrag der Stadt Essen. Offiziell also, worum er sich bewerben muss. Und er muss dafür eine Verwaltungsgebühr bezahlen.
Wie bei vielen Jägern macht Naturbeobachtung einen großen Teil der Tätigkeit aus. Bei Dunkelheit hockt Welbers auf dem Ansitz, mit Nachtsichtgerät ausgestattet, tags geht er über das weitläufige Gelände.
Grünspechte und Waldohreulen beobachten
Welbers sieht im Frühjahr die Grünspechte brüten („Dieser Baum da ist ein richtiges Mehrfamilienhaus, die Waldohreule war auch drin“) und die Fledermäuse fliegen („Sogar die Kleine Hufeisennase haben wir hier“). Diese Arten jagt er natürlich nicht, seine jährliche Strecke umfasst etwa 80 Kaninchen, 20 Ringeltauben, 15 Krähen und zehn Füchse. Rehwild gibt es auf dem Nordfriedhof nicht, Wildschweine in ganz Essen nicht. „Noch nicht“, kommentiert Jürgen Welbers, „in Bottrop und Velbert sind sie schon.“ Jäger hin oder her, er könnte gut auf die Tiere verzichten. Wie man in Berlin, Bielefeld und anderen Städten sieht, richten sie große Schäden an.
Der erfahrene Jäger sieht, wie Tiere sich dem von Menschen geschaffenen Bereich anpassen. Wer glaubt, der Fuchs mache sich noch große Mühe mit Kaninchenjagd, irrt. Die Hoppler rennen ja nur weg. Das tun die Essensreste nicht, die auf dem benachbarten Schulhof liegen bleiben.
Krähen nehmen sich Grablichter vor
Noch cleverer sind die Krähen. Die hochintelligenten Tiere haben längst gemerkt, dass die weiße Masse in Grablichtern Fett enthält: energiereiche Nahrung für den Winter. „Die haben nicht mal Angst vor der offenen Flamme“, weiß Welbers. Bis vor kurzem hätten die Vögel die Plastiklichter herumgeschleudert, um den flüssigen Inhalt herauszubekommen. Inzwischen machen sie es wie die Seemöwen mit den Muscheln: Sie fliegen hoch und lassen die Grablichter auf harten Untergrund fallen, so dass der Kunststoff aufplatzt. So mancher Vandalismus auf Gräbern wurde also nicht von Menschen angerichtet.
Die Rabenvögel kann jeder beobachten, der sich Zeit nimmt. Viele andere Tiere warten lieber bis es dunkel ist und keine Menschen mehr anzutreffen sind, jedenfalls nicht, wenn die sich an die Friedhofsordnung halten. Geht Jürgen Welbers dann auf die Jagd, meldet er das vorab bei der Polizei an, damit die einen möglichen Anwohnerhinweis, auf dem Nordfriedhof seien Schüsse zu hören, gleich richtig einordnen kann.
Autor:Sabine Pfeffer aus Essen-Kettwig |
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