Ruhrtriennale: Vom Sex der Avatare
Johan Simons inszeniert „The Future of Sex“ im PACT Zollverein
Das große „allumschlingende“ Revier-Festival der Künste hat sich in der dreijährigen Intendanten-Ära Johan Simons ja das große Zeitalter der Aufklärung mit „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ verschnörkelt auf die Fahnen geschrieben.
In Essen präsentiert die Ruhrtriennale als Schauspiel „The Future of Sex“, mitfinanziert vom Holland Festival und dem Theater Rotterdam. Und als Regisseur behandelt Johan Simons hier den Begriff „Aufklärung“, der sonst für eine Epoche steht, in einem sehr aktuellen Zusammenhang. Und wie im Titel ja nicht verschwiegen wird, in sexuellem Kontext „aufgeklärt“.
Obwohl Sex in unserer aufgeklärten Gesellschaft, in den Medien allgegenwärtig ist, scheinen „wir es immer weniger miteinander zu machen.“, analysiert der angesagte Autor Arnon Grünberg gemeinsam mit Simons die Lage: „Wir liegen nicht mehr miteinander im Bett, sondern mit unseren Laptops und Smartphones!“. Die beiden können sich dazu auch auf eine aktuelle Studie berufen. Zumindest aus britischer Sicht vor dem Brexit sagt der Überblick zu „Sexual Attitudes and Lifestyles’ definitiv: „In allen wohlhabenden Ländern wird insgesamt bedeutend weniger miteinander geschlafen als noch vor ein paar Jahrzehnten.“
Sexuelle Befreiung - nur ein Mythos?
Eine beunruhigende Entwicklung, zu Ende gedacht könnte sie schließlich das Ende der Menschheit bedeuten? Mit dem flämischen Schauspielerkollektiv Wunderbaum hat Simons eindringliche Szenen der Sehnsucht, Befriedigung und Entsagung verwirklicht: Abgründige Phantasien nach Marquis de Sade, dem „Erfinder“ des Sadismus, klinischer Avatar-Sex – aber auch gern „alles dazwischen“. Autor Grünberg hat die sexuelle Befreiung als Mythos erkannt: „Wir können den Gefangenen in uns nicht befreien...vielleicht können wir ihn mal kurz an die frische Luft führen.“.
Wer solche Elementar-Fragen mit den Mitteln des Theaters, mit der Kunst von Schauspielern beantworten will, kann das nicht ohne deutliche Körpersprache. Die den Text auch unterlaufen, mehrere Ebenen der Deutungen möglich machen kann. Die Darsteller tasteten die Grenzen sexueller Sehnsüchte ab und stürzen sich in eine erotische Science-Fiction-Fantasie. Sie besuchten einschlägige Websites, interviewten Jugendliche, checkten neueste virtuelle Sexspielzeuge. Und entwickelten Theaterrollen „in einer neuen intimen Dimension“.
Inspiration im Nudistencamp
Und wo holt man sich als Autor einen ersten Eindruck? Autor Arnon Grünberg ließ sich eigenen Angaben nach von Besuchen im französischen Nudisten- und Swinger-Dorf bei Cap d'Agde inspirieren. Aber auch analytisch will er „rangegangen“ sein: wird digitaler Sex bald wichtiger als genitaler? Gibt´s bald nur noch virtuell Cyber-Sex an Hand der Krücken von 3D-Brillen und Haut-Sensoren? Entfernen sich Privat-Fantasien und reale Sexual-Beziehungskisten immer weiter voneinander?
Sein Stück „Zukunfts-Sex“ ist laut Simons nicht ohne Witz (eigentlich ein Tabu dabei), auch mal heftig, oft poetisch und - nachdenklich. Na, auf in die Zukunft auf Zollverein! (cd)
Mitwirkende: Wunderbaum / Walter Bart, Matijs Jansen, Maartje Remmers, Marleen Scholten, Regie: Wunderbaum / Johan Simons, Text: Arnon Grünberg, Bühne: Maarten van Otterdijk, Kostüme: Lotte Goos, Komposition und Musik Simon Lenski.
Termine: 1. / 2. und 3. September um 20 Uhr in PACT Zollverein Essen. Karten (20 / 30 €, erm. ab 10 €) unter: www.ruhr3.com/fut
Autor:Caro Dai aus Essen-Werden |
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