Eröffnung der Ruhrtriennale 2013 / 1. Teil: Spielort: Essen - Mischanlage der Kokerei Zollverein
Douglas Gordon: Silence, Exile, Deceit - An Industrial Pantomime.
Die diesjährige Ruhrtriennale steht unter der künstlerischen Leitung von Heiner Goebbels.
Goebbels, der selbst Komponist und Theatermacher ist, hat für die Triennalezeit vom 23.8. bis 6.10.2013 mehr als 800 internationale Künstlerinnen und Künstler in die Metropole Ruhr eingeladen. Entstanden sind so über 43 Produktionen. Die Besucher können sich neben zahlreichen Neuproduktionen auch auf 20 Uraufführungen freuen. Konzerte und Künstlergespräche verwandeln die herausragenden Industriedenkmäler der Region in spektakuläre Aufführungsorte für Musik, Bildende Kunst, Theater, Film, Tanz und Performance.
Die großen Kunst-Installationen der Ruhrtriennale 2013 wurden heute eröffnet.
In der Mischanlage der Kokerei Zollverein ist die neue Videoarbeit "Silence, Exile, Deceit - An Industrial Pantomime" des britische Künstler Douglas Gordon zu sehen.
Gordon hat für das architektonisch wie atmosphärisch einzigartige Industriedenkmal eine ortsspezifische Arbeit entwickelt, welche mit blendendem Licht und tiefster Dunkelheit spielt.
Mit Klängen und visuellen Eindrücken stellt er die Frage danach, "wer hier eigentlich das Sagen hat" - der Künstler, der Performer oder doch der Zuschauer?
Der Künstler Douglas Gordon, geboren 1966 in Glasgow, ist ein britischer Videokünstler und Fotograf. Sein Werk umfasst neben raumgreifenden Videoinstallationen auch Fotografien, konzeptuelle Textarbeiten, skulpturale Installationen und Performances.
Viele seiner Arbeiten haben mit kollektiven Erinnerungen zu tun und nutzen Wiederholungen in vielfältigen Formen.
In seinen Werken analysiert Gordon Bilder unseres kollektiven Gedächtnisses und unserer Alltagskultur und legt so Grundmuster der Wahrnehmung frei. Seine Arbeiten kreisen um Polaritäten wie Leben und Tod, Gut und Böse, Schuld und Unschuld sowie Versuchung und Furcht.
Zunehmend finden auch musikalische Bezugspunkte Eingang in seine Arbeiten.
Über sein neustes Werk "Silence, Exile, Deceit - An Industrial Pantomime" sagt Gordon: "Ich will eine "Pantomime aus Klang, theatralischen Effekten und visuellen Bildern erschaffen. Material sind die bloße Stimme, Cello, nackte Körper, Seile, Vögel, Rauch, Spiegel, gleißendes Licht und tiefe Finsternis. Im Pantomimenstil ist nichts so, wie es der Darsteller erschafft, sondern alles so, wie es das Publikum erlebt. Anders als die klassische Oper erlaubt die Pantomime Lachtränen ebenso wie Trauertränen."
Und was Douglas Gordon für uns in der Kokerei installiert hat, kann sich sehen und hören lassen.
Seine Industriepantomime macht das denkmalgeschützte Gebäude selbst zur Skulptur. Hier handeln (fast) keine Menschen, sondern die alte Industriearchitektur mit ihrer Möbelierung aus Gittern, Lichtschächten, Treppen, Wandnischen, Mauervorsprüngen, Stufen und Maschinenresten scheint lebendig zu werden. Es zischt Rauch, Maschinengeräusche dröhnen, es entfaltet sich ein gespenstisches (Höllen-?) Szenario. Aus Licht- und Dunkelzonen scheinen sich zwischen den Wänden Kammern zu bilden, in denen die Besucher im Zwielicht wie Schatten wandeln. In einer Ecke liegt ein weißer Wolf - schläft er, ist er ausgestopft? Auf dem Monitor lässt der schwarze Rabe Unheilvolles ahnen.
In einer Kammer fragt Rotkäppchen mit piepsigem Stimmchen "... and what shall we do now?" Brodelnder gelblicher und weißlicher Qualm, der aus der Tiefe aufsteigt, verstärkt den Halbwelt-Eindruck. Eine gruselige, bedrohliche Stimmung, die zugleich aber auch schaurig schön ist, lässt die Spannung steigen. Der Besucher folgt einer fernen Sirenenstimme.
Auf einer Großleinwand sieht man die Quelle des dröhnenden Lärms und der schrillen Stimme - eine Cellospielerin und eine Sopranistin geben ihre Darbietungen wie in der klassischen Oper - nur unheilvoller, böser, verzweifelter mit kleinen beruhigenden Passagen, die den Besucher kurzzeitig entspannen lassen, bevor er wieder in die Geisterathmosphäre zurückgeworfen wird.
Gordon erklärt dazu, er habe Improvisationen zur Musik von Henry Purcell, Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart und Freddy Mercurie arrangiert. Und dann erzählt der Familienmensch Douglas Gordon, er habe beim Aufbau der Installation seine vierjährige Tochter
für das "Rotkäppchen"-Video gefilm. Gleich nach den Dreharbeiten sei sie zu ihm auf den Arm geklettert und habe etwas genervt gefragt "...and what shall we do now?".
Das ist also die harmlose Auflösung zur angsterfüllenden erlebbaren Raumsituation.
Gordon erzählt weiter, zur "Generalprobe" habe er seinen Sohn mitgebracht. Der ansonsten kesse Halbhohe sei ängstlich zurückweichend in die Räume eingetreten und habe nur noch "no, no, oh no..." gemeint. Da habe er als Vater gewusst, dass seine schaurige "Geisterbahn" funktioniere.
Und wie zur Belohnung nach soviel Höllenszenario darf der geläutert aufgestiegene Besucher auf der obersten Etage der Kokerei einen entspannenden Blick über die gesamte Industrieanlage, die angrenzenden Grünanlagen und die ferne Stadtlandschaft tun.
Die atmosphärische Installation ist wirklich gut gemacht und wirkt auch beim Verlassen der Anlage nach. Hobbyfotografen sollten unbedingt ihre Ausrüstung für Nachtaufnahmen mitbringen.
Autor:Dorothea Weissbach aus Oberhausen |
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