1. Libanesischer Frauen-Kongress im VielRespektZentrum
Ein politisches Modellprojekt der libanesischen Community in Essen stellt sich vor
Am letzten Septemberwochende diesen Jahres wird in der essener interkulturellen Arbeit, althergebracht gern immer noch als Integrationsarbeit bezeichnet, tatsächlich Neuland betreten.
Wesentliche Akteure in der Vorbereitung waren dabei das "Bildungswerk der humanistischen Union mit ihrer Leiterin Katja Schütze und der Verein "Laissez-passer e.V." in dem sich der Essener grüne Ratsherr Ahmad Omeirat besonders engagiert, nicht zu vergessen Jugendgruppenleiterin Sahar El-Zein und Iman Ahmad Hassan.
Angefangen hatten diese Aktivitäten mit dem Projekt "Baladi - Meine Stadt", das von der Bundeszentrale für politische Bildung und Aufklärung gefördert wurde. Politische Jugendbildungsfahrten nach Weimar und Berlin folgten, wie auch allgemeine politische Bildung im Rahmen von Projekten "Lerne dein Land kennen" möglich wurden. Endlich wurden rückte auch ein Frauenkongress mit Schwerpunkt auf die libanesiche Community in organisierbare Nähe..
Hier also endlich die Einladung zu einem spannenden und in Essen lange überfälligem Kongress, der am 28. September 2019 um 13.00 Uhr im @VielRespektZentrum seine Tore öffnet. Die genaue Adresse: Rottstr. 24, gegenüber der neuen Zentrale der städtischen Allbau Wohnungsgesellschaft.
Der Verein Laissez-Passer, dass Bildungswerk der Humanistischen Union und das Team des VielRespektZentrums freuen sich, viele Interessierte als Gäste begrüßen zu dürfen.
Hintergründe zum libanesisch-essenerischen Bildungsprojekt
Die heutigen Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern mit libanesischer Zuwanderungsgeschichte (Mhallami-Libanes*innen) sind in Deutschland geboren, ihre Eltern/Großeltern flüchteten in den 80er Jahren vor dem Bürgerkrieg im Libanon. Viele Mitglieder der Community leben bis heute ohne einen sicheren Aufenthaltsstatus in Essen; sie werden „nur geduldet“. Diskriminierungen bei Ämtern, Behörden, eine fehlende Arbeitserlaubnis, Racial Profiling der Polizei und mediale Generalverdächtigungen, sind Koordinaten alltäglicher Diskriminierungserfahrungen in den meisten Familien. Das Misstrauen gegen die Mehrheitsgesellschaft und den Staat seitens der vor Jahrzehnten Geflüchteten, verhindert teilweise eine demokratieaffine Grundstimmung und Integrationsbemühungen bei den hier geborenen, diskriminierende Erfahrungen werden über Generationen generalisiert und als eigenes Schicksal hingenommen.
Die Vielfalt der Lebenswege und Orientierungen erkunden
Verschiedenste Erkundungsprojekte an Orte der Demokratie, von Geschichte und Gegenwart deutscher Zustände, sowie das Treffen auf Menschen, Institutionen usw., die die Vielfalt der Lebenswege und kulturellen, religiösen und sexuellen Orientierungen aufzeigen sind noch geplant. Die Teilnehmer*innen sollen ermutigt werden, sich als politisch handelnde Mitglieder der Gesellschaft, insbesondere auch der Stadtgesellschaft zu verstehen und Teilhabechancen aktiv zu gestalten.
Das Projekt - "Baladi - Meine Stadt" - Politische Teilhabe für arabische und kurdische Libanes*innen soll den Teilnehmenden, die positive Identifikation mit dem Land ermöglichen, in dem sie geboren sind. Sie sollen Freude entwickeln können, hier zur Schule zu gehen, die Sprache sie sprechen und in dieser Stadt ihre Familie und Freunde zu haben.
Vorurteile innerhalb der Mehrheitsgesellschaft abbauen
Gleichermaßen sollen aber auch Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft abgebaut werden, dafür sollten systematisch Begegnungen auf informeller und offizieller Basis eingeleitet werden. Im Zentrum stehen hier nicht zuletzt Gespräche auf politischer Ebene u.a. über die Verbesserung der Aufenthaltstitel (Kettenduldungen) in Essen geborener Bürger*innen und ihrer Kinder. Die jetzt noch mit dem langjährig unsicheren Aufenthaltsstatus vieler libanesisch stämmiger Essener*innen einhergehenden Konsequenzen, wie fehlende Arbeitserlaubnis oder auch Probleme überhaupt einen Führerschein zu erhalten, müssen abgebaut werden. Auch gefühlte oder tatsächliche Bildungsbenachteiligung, besondere „In Blicknahme“ durch die Polizei, sowie diskriminierende Berichterstattungen in der Lokalpresse sollen jetzt öffentlich und ergebnisoffen mit den entsprechenden Institutionen diskutiert und versachlicht werden.
Integration Zugewanderter oft nur unbeabsichtigt und ungeplant
Brauchen wir dieses Engagement in einer Region, die das Miteinander von Menschen unterschiedlicher Sprachen und Kulturen seit mehr als 150 Jahren als Alltagserfahrung lebt? Wer sich vor Ort in den Kommunen des Ruhrgebiets umsieht, kann sehen, dass sich die Integration vieler Zugewanderter häufig unbeabsichtigt und ungeplant vollzogen hat. Mit den gewünschten, ebenso wie den ungewünschten Resultaten dieser Bevölkerungsentwicklung werden Zivilgesellschaft, Politik, Wirtschaft und Schulen gerade im Ruhrgebiet täglich konfrontiert.
Nachhaltige Förderung formaler und informeller Mitwirkung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte kann gesellschaftlich nur in einem Milieu gewährleistet werden, das Willkommenskultur lebendig gestaltet und Integration/ Inklusion professionell anregt, fördert und stärkt.
In Kooperation mit dem Verein "Laissez passer e.V." will das Bildungsprojekt insbesondere die Community der arabischen und kurdischen Libanes*innen erreichen. Die zu oft noch ungehobenen Potentiale der politischen und gesellschaftlichen Partizipation auf lokaler und politischer Ebene müssen entdeckt werden. Die Entwicklung von Trainingsmodulen zur politischen und gesellschaftlichen Teilhabe in Ehrenamt, politischen Parteien, Initiativen und Verbänden ist dabei ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Entdeckungsreise. Aufsuchendes Lernen an Orten der Demokratie, an Lern- und Gedenkorten soll neue Ideenperspektiven ermöglichen.
Ebenso bedeutsam wird es dann sein, Potentiale individueller Selbstwirksamkeit in familiären Strukturen und Traditionen zu wecken, weiterzuentwickeln und mit Blick auf weibliche Lebenswegperspektiven und dem demografischen Wandel Empowermentstrategien und politische Bildung, als niederschwelliges Angebot mit ermutigenden Mitmachpotentialen anzubieten.
Auseinandersetzungen mit interkulturellen, interreligiösen und biografischen Themen sowie die Erschließung einer Pluralität von Identitäts- und Aktionsangeboten in der Region fördern. Kooperationen mit Institutionen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft im Stadtteil und auf lstädtischer Ebene können so auf den Weg gebracht werden. Auch öffentliche Veranstaltungen zu aktuellen Themen mit lokalen Akteuer*innen sollen organisiert und selbst durchgeführt werden.
Wichtiger Schritt: Gründung einer AG Frauen
Bewusst haben wir uns entschieden eine AG Frauen zu gründen. Der geschützte Raum des Seminars als „Öffentlichkeit unter Anwesenden“ sowie die methodische und didaktische Begleitung der Bildungsprozesse z.B. beim aufsuchenden Lernen bieten gute Grundlagen, dass das aktive Teilhabe gelingen kann. Ob die Teilnehmer*innen sich den Überlegungen "Ein Leben ohne Großfamilie ist möglich" gemeinsam stellen oder sich lieber für die Bildungswege ihrer Kinder engagieren möchten, bleibt momentan offen. Ihnen Raum zu bieten, selbstwirksam ihre Themen zu formulieren und umzusetzen, soll Startpunkt für viele spannende Begegnungen mit neuen Fragestellungen der Migrationsgesellschaft und ihren Angeboten sein.
Verwaltung und Kommunalpolitik inhaltlich erobern
Angesprochen werden Frauen und Männer der Community, die ein starkes Interesse haben, politisch aktiv zu werden. Oft haben diese Menschen aber weder Erfahrungen mit eingreifenden politischen Handeln, noch kennen sie die Strukturen und Zugänge zu Vereinen, Verbänden, Parteien, oder einem Integrationsrat. Das zu ändern, sind im Projekt regelmäßige Seminargruppen und Workshops zu kommunal- und landespolitischen Themen, Erfahrungsaustausch und aufsuchende Gespräche mit lokalen Institutionen vorgesehen. Langfristig sollen sich die Teilnehmenden – entsprechend ihrer persönlichen Interessen, eigenständig in Organisationen, Ehrenamt und Politik engagieren. Ebenfalls angestrebt wird die regelmäßige Kommunikation mit Polizei, Justiz, Ausländerbehörde sowie die Organisation von Veranstaltungen in Stadtteilen / Quartermanagement "Gefährliche Orte", zu Verbesserung der Kommunikation in der Kommune.
Lebensweg-Orientierung & Kulturen -Knigge
Unter dem Motto „Lerne dein Land kennen“ treffen sich ca. 20 Jugendliche angeleitet von zwei Teamer*innen wöchentlich, um sich aus verschiedenen Perspektiven mit sich, Diskriminierungserfahrungen aber auch mit Demokratiegeschichte, Politik und Lebenswegsorientierungen auseinanderzusetzen. Dabei wählen sie zwischen klassischen Formaten, Medien- und/oder kulturelle Workshops und lernen im Workshop „Kulturen-Knigge“ wichtige Grundlagen für Beruf und Alltag. Gleichermaßen lernen sie „ihr Land“ kennen, bei Exkursionen in den Landtag, nach Berlin oder Weimar. Darüber hinaus wird überlegt, die Strukturen des Vereins "Laissez passer e.V". auf regionale Ebenen oder bundesweit auszudehnen. Die Mitglieder werden bereits jetzt teilweise europaweit von Medien und Hilfesuchenden angefragt, wenn es um ordnungs- und asylpolitische Berichterstattungen über Menschen aus dem Libanon geht. Auf Fachtagungen und politischer Ebene werden sie als Expert*innen zur Sensibilisierung der Akteur*innen in der Kommunalpolitik angefragt.
Im gesamten Projektzeitraum 1. Juli 2019 – 31. Dezember 2020 sollen Angebote und regelmäßige Treffen verschiedensten Arbeitsgruppen entwickelt und umgesetzt werden.
Kulturell menschliche Nachhaltigkeit für das Baladi-Projekt erhofft
Die Projektaktiven erhoffen sich von der intensiven Begleitung der Gruppen mit Angeboten politischer Bildung und attraktiven Erlebnisräumen eine Atmosphäre hoch interessierter Mitwirkung zu schaffen. Wichtiges Ziel ist hier, gerade Mitglieder der Mhallami Libanes*innen als Botschafter*innen ihrer Community zu befähigen, auf lokaler Ebene und darüber hinaus überall selbstwirksam und politisch eingreifen zu können. Als sogenannte "Peers" oder als allgemein positiv wahrgenommene Interessensvertreter*innen könnten sie dann Vorbild für vieleNachahmer*innen werden. Natürlich bleibt es den Teilnehmenden unbenommen, sich auch andererorts mit völlig anderen Themen und Interessen zu engagieren und losgelöst von den kulturellen Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft, politisch oder gesellschaftlich aktiv zu werden.
Wünschen wir also diesem 1. libanesischen Frauenkongreß im Vielrespektzentrum in der Essener Nord-City allen Erfolg, der möglich ist. Dieser Erfolg nützt dann nicht nur den beteiligten, sondern unserer ganzen Stadt Essen.
Autor:Walter Wandtke aus Essen-Nord |
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