Verdiente Ehrung für 100 Jahre Volkshochschule in Essen - leider mit rostigem Flecken
- Stahlbucheintragung für die VHS ist ein historisch falsches Signal.
Nach 100 Jahren kritisch-kreativer Bildungsarbeit hatten sich Essener Volkshochschule, ihre Mitarbeiter- wie Schüler*innen einen Festakt in der Lichtburg redlich verdient. Dank des Stadtratsbeschlusses von 1919 konnte unsere VHS bereits Monate vor den neuen Bildungsgesetzen der Weimarer und preußischen Verfassung ihre Arbeit aufnehmen.
Dem vorbildlichen Schulstart angemessen, trat Oberbürgermeister Kufen mit schwerer Amtskette, dazu NRW-Bildungsstaatssekretär Kaiser, wie auch Prof. Michael Schemmann zu Laudatien der Bildungsaufbrüche der Essener VHS auf die Bühne. Dass neben langen Reden mit der Film- und Musikpremiere „100 Jahre im Licht“ von Professorin Cindy Gates und Loy Wesselburg die VHS-Geschichte künstlerisch bearbeitet wird, um so besser.
Nazi-Erfindung kann nicht der VHS Ehrung dienen
Der leider ebenfalls in der Lichtburg zelebrierte Stahlbucheintrag, hier durch den Staatssekretär, aber kann keine Ehrung demokratischer Volkshochschulgeschichte sein. Bereits der frühere sozialdemokratische Essener Kulturdezernent Dr. Wilhelm Godde, zuvor Leiter der VHS und langjähriger Weggefährte von Gustav Heinemann, hatte sich in einem im Jahre 2000 erschienenen Buchaufsatz (Vorwort Alt-OB Dr. Wolfgang Reiniger) darüber beschwert, dass Essen weiterhin der martialischen Stahlbucherfindung von Theodor Reismann-Grone huldigt.
Dieser OB von NSDAP-Gnaden, ein altgedienter rechtsradikaler Pressezar, hatte kurz nach seinem Amtsantritt bereits im Juli 1933 die VHS aus politischen Gründen geschlossen.
Das neue Stadtoberhaupt nutzt schließlich 1934 die Hochzeit von Josef Terboven unter Anwesenheit Adolf Hitlers und Hermann Görings mit weiterer Nazi-Prominenz zum Propaganda-Coup. Als gegenüber der heutigen VHS in der Münsterkirche mit höchster NS-Prominenz die Hochzeit des Essener Gauleiters, und im II. Weltkrieg auch Reichskommissars für Norwegen, Josef Terboven zu feiern ist, wird mit den entsprechenden Unterschriften die Stahlbuch-Tradition begründet. Adolf Hitler und Hermann Görings Unterschriften geben 1934 den Auftakt zum Stahlbuch, nicht etwa 1953 der demokratisch gewählte Bundespräsident Theodor Heuss mit seiner ersten Nachkriegsunterschrift im jetzt bereinigten städtischen Gästebuch.
Die jetzt 85 Jahre alte Nazi-Gästebucherfindung ist schon lange beerdigungsreif. Auf jeden Fall ist das Essener Stahlbuch zur Ehrung einer Volkshochschule völlig ungeeignet, auch wenn auf dem Kruppstahleinband keine Hakenkreuze eingraviert sind.
Stahlbuch mit diktatorischem Geburtsfehler anno 1934
- Zitat aus der Hochzeitsrede des OB Reismann-Grone von 1934:
"Wenn heute zu diesem hochzeitlichen Fest Sie, mein Führer erschienen sind, mit ihren alten getreuen Gefolgsmannen, vor allem mit Ihnen, Herr Ministerpräsident Göring, wenn wir so die beiden Ehrenbürger der größten Metallstadt Deutschlands gleichzeitig begrüßen dürfen, so setzt sich für uns heute diese stattliche Reihe der kaiserlichen erlauchten Besuche fort, welche für die Stadt ein Ruhm und für die Geschichte ein Ereignis sind. Um diese Stunde in etwa festzuhalten, hat die Stadt Essen heute ein Gästebuch begonnen.
Es soll Ausdruck dafür sein, dass heute heute mit dem Dritten Reich und diesem Buch eine neue Epoche der Stadt eingeläutet wird."
In dieser Tradition und für diese "Epoche" kann die Volkshochschule Essen doch nun wirklich nicht stehen wollen.
Walter Wandtke
Autor:Walter Wandtke aus Essen-Nord |
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