Jürgen Klopp: "Satt? Das wäre Wahnsinn!"
Am Freitag (5.8., 20.30 Uhr) gilt‘s für den BVB: Mit dem ersten Spiel gegen den HSV fängt auch der Deutsche Meister wieder bei Null an. Vor dem Saisonstart sprach der Stadt-Anzeiger Dortmund mit Trainer Jürgen Klopp.
Sie haben klar gestellt, niemand müsse sich Sorgen machen, dass der Trainer nach dem Titelgewinn satt sei. Gilt das auch uneingeschränkt für jeden Spieler?
Jürgen Klopp: Das wäre ja auch Wahnsinn, wenn ich jetzt satt wäre. Und das gilt absolut für jeden einzelnen meiner Jungs. Wir haben uns mit guten Spielern verstärkt, die absolut hungrig sind. Und ich bin mir sicher, dass die zuletzt etablierten Spieler nicht nur im letzten Jahr einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht haben, sondern den in dieser Saison auch noch einmal gehen wollen. Von einem Sättigungsgefühl habe ich bisher nichts erkannt.
Sie haben die Weiterentwicklung der Spieler angesprochen. Ist dies das Ziel Nummer eins, das Sie sich als Trainer gesteckt haben – noch vor dem Gewinn weiterer Titel?
Jürgen Klopp: Ich denke, das ist eine sehr vernünftige Zielsetzung, wenn man sich die immer noch sehr junge Alterstruktur der Mannschaft anschaut. Wir können doch nicht auf der einen Seite ganz überraschend Meister werden und dann erwartet man, dass wir diese Überraschung mit aller Macht wiederholen müssen. Das wäre Quatsch! Darum ist es für mich immer das Entscheidende, dass man die Spieler weiterbringt – und damit am Ende nach aller Voraussicht auch das Mannschaftsspiel. Ob das gleichzeitig mehr Punkte einbringt, das kann ich nicht einschätzen. Aber wenn uns das gelingt, ist die Wahrscheinlichkeit, auch in der Tabelle eine gute Position einzunehmen, relativ groß.
Wie groß ist das Potenzial, das Ihre Spieler noch haben?
Jürgen Klopp: Wir haben Spieler, die im letzten Jahr richtig gut waren. Das steht außer Frage. Aber trotzdem haben sie in Teilbereichen des Fußballspiels noch großes Potenzial, das wir fördern können: die Spieleröffnung aus der letzten Linie heraus, die Torgefährlichkeit, die Gier auf Tore, die bei manchem noch nicht so wahnsinnig ausgeprägt ist, Ballannahme und Ballmitnahme, wenn wir über Basics sprechen. Und generell die Fähigkeit, unter noch größerem Druck noch bessere Entscheidungen zu treffen. Das sind alles Dinge, die auch mit Erfahrung zu tun haben.
Vor zwei Jahren stand noch die Arbeit gegen den Ball im Mittelpunkt, dann rückte mehr die Arbeit mit Ball in den Fokus. Wo setzen Sie aktuell an?
Jürgen Klopp: Vor zwei oder noch mehr vor drei Jahren war es tatsächlich so, dass wir in einer Mannschaft, die in diesem Bereich nicht das allerhöchste Niveau hatte, erst einmal die defensive Disziplin etablieren mussten. Es geht darum, in jedem Moment defensiv mitzuarbeiten. Vor allem im letzten Jahr konnten wir im Spiel mit Ball nochmals zulegen, weil wir aufgrund der technischen Möglichkeiten der Mannschaft in der Lage waren, eine ganz andere Dominanz bei eigenem Ballbesitz auszustrahlen. Beides ist relevant und beides werden wir weiter intensiv trainieren. Leider ist es beim Fußball nicht wie beim Radfahren, wo es immer so schön heißt: Das verlernt man nicht. Ich kann zwar heute auch noch einen langen Ball spielen und weiß ungefähr, wo er runterkommt. Aber das Zusammenfügen der ganzen Potenziale einer Mannschaft ist doch am Ende das Spannende. Für uns geht es jetzt darum, wieder eine vernünftige Stabilität auf den Platz zu bringen. Wir müssen gegen den Ball wahnsinnig gierig bleiben. Und dann werden wir unser fußballerisches Talent mit einbringen.
Beim BVB werden Pressing und Laufarbeit groß geschrieben, beides erfordert körperlich hohen Einsatz. War das gerade für die Neuzugänge eine große Umstellung?
Jürgen Klopp: Ich glaube, unsere Neuen haben an mehr Dingen zu knacken als nur an Pressing und Gegenpressing. Sie müssen immer aufmerksam sein, immer präsent sein, dürfen nie abschalten. Was das rein Läuferische vor allem auch in der Vorbereitung betrifft, da beißen alle in jedem Jahr mächtig dran herum. Wir regeln das aber schon sehr individuell, wenn wir uns die Basis im Ausdauerbereich erarbeiten. Das ist für jeden zu stemmen. Der große Unterschied liegt wirklich darin, dass es insgesamt kaum Ruhephasen gibt. Auch neben den einzelnen Übungen gilt es, ständig hellwach zu sein. Einfach mal in der Konzentration abzuschalten, wird nicht toleriert. Da machen wir den Jungs ständig Feuer unterm Hintern! Ich denke, das ist die größte Umstellung, wenn man zum BVB kommt.
Ab wann können Neuzugänge wie Gündogan, Perisic oder Leitner unter diesen Voraussetzungen für den BVB eine echte Verstärkung sein?
Jürgen Klopp: Da setze ich mir gar kein Zeitfenster. Wir bauen jetzt eine neue Mannschaft. Natürlich haben wir in der letzten Saison ziemlich guten Fußball gespielt. Haben wir keine Verletzungssorgen, gibt es keinen Grund, sechs, sieben Positionen neu zu besetzen. Das Vertrauen haben sich die Jungs erarbeitet. Aber es geht jetzt darum, wer wann wie am besten in diese Mannschaft passt. Und wer jetzt aktuell für die jeweilige Elf eine Verstärkung darstellen kann.
Könnte trotzdem beim Neubau dieser Mannschaft angesichts der personellen Möglichkeiten die Rotation an Bedeutung gewinnen?
Jürgen Klopp: Ich bin sicher kein Rotierer im eigentlichen Sinn. Natürlich werden wir angesichts der vielen Spiele versuchen, Einsatzzeiten etwas zu verteilen, wenn uns die Spieler das ermöglichen. Jemanden zu bringen und dabei zu überfordern, macht aber auch nicht wirklich Sinn. Wenn alle fit sind, können wir im Rhythmus von Mittwoch auf Samstag auch mal den einen oder anderen Wechsel vollziehen. Aber wir werden nicht ins Rotieren geraten.
Das Gespräch führte Dietmar Nolte
Lesen Sie im zweiten Teil des großen BVB-Interviews ab Donnerstagnachmittag auf lokalkompass.de mehr über Kagawa und Kehl, Verantwortung für alle und Jürgen Klopps Vorfreude auf die Champions League.
Autor:Dietmar Nolte aus Dortmund-West |
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