Von Aleppo nach Dortmund
Yaseen Haidar besucht die Internationale Klasse am Stadtgymnasium.
Die Schüler lernen dort Deutsch, werden fit gemacht für den Regel-Schulbesuch. Yaseen habe ich vor mehreren Wochen schon einmal getroffen, als ich über die Internationale Klasse berichtet habe.
Damals hatte mir der Klassenlehrer von Yaseen, Henry Brodersen, erzählt, dass Yaseen schon einmal in einem Vortrag über seine Erlebnisse auf der Flucht und über die Lage in Syren berichtet hatte. Auch ein Video hat er schon darüber gedreht. Grund genug, mich noch einmal länger mit Yaseen zu unterhalten.
Was gibt es Neues zu berichten? "Die B1-Sprachprüfung habe ich gemacht", erzählt er. "War gar nicht so schwer." Weitere Prüfungen werden folgen, wie einige andere Mitschüler hofft auch Yaseen, dass er weiter das Stadtgymnasium in einer regulären Klasse besuchen kann.
Seine Familie stammt ursprünglich aus dem syrischen Aleppo. Der Vater war dort Richter und Anwalt, die Mutter Französischlehrerin. Bereits vor vier Jahren flüchtete die Familie vor dem Krieg, ging zunächst in den Sudan, dann nach Ägypten. Vor eineinhalb Jahren kam Yaseen nach Deutschland.
"Zuerst hatte meine Vater vor, alleine in den Sudan zu gehen und uns nachzuholen", doch dann kam alles anders: "In Aleppo gab es nach den ersten Demonstrationen immer wieder Straßenkämpfe", erzählt er.
Die syrische Armeebekämpfte die Rebellen, die sich zu paramilitärischen Einheiten, der Befreiungsarmee, zusammengeschlossen hatten. "Kurz bevor mein Vater in den Sudan wollte, gab es direkt vor unserem Haus, vielleicht 30 Meter entfernt, einen rund dreistündigen Kampf zwischen syrischen Soldaten und Rebellen." Von acht Soldaten wurden vier getötet; und der Familien wurde klar, dass sie zusammen das Land verlassen wollte.
Der Vater hatte geplant, in den Sudan zu gehen, ein Freund hat dort eine Fima und wollte ihm dort Arbeit verschaffen. Doch dann gab es für die Familie dort kein Visum. "Es war schwer zu leben dort, sehr heiß, oft 40 Grad am Tag", erinnert sich Yaseen.
Nach drei Monaten verließ die Familien das Land und ging nach Ägypten. "Als Präsident Mursi noch an der Macht war, war es für die Flüchtlinge dort leichter", erzählt Yaseen. Mit dem neuen Präsidenten Azizi verschlechterte sich die Lage. Zwei Jahre lang war die Familie dort, bevor sich der Vater dazu entschloss, zunächst alleine nach Deutschland zu kommen.
Nachdem er als Flüchtling anerkannt worden war, konnte er seine Familie nachholen - per Flugzeug. "Wir haben eine Tante hier in Dortmund, sie lebt schon sehr lange hier, seit 25 Jahren. Ihre Kinder gehen auch auf das Stadtgymnasium. Sie hat uns bei ganz vielen Dangen geholfen" , erklärt Yaseen.
Gelebt hat die fünfköpfige Familie auf der Flucht von Ersparnissen. "Wir hatten zwei Häuser in Aleppo, ein Auto. Ein Haus ist kaputt. Das Auto haben wir verkauft." Nach zwei Jahren war das Geld aufgebraucht.
"Familie, Freunde, Zukunft, alles haben wir verloren" erklärt der 18-Jährige in fließendem Deutsch. "Alle paar Wochen kommen schlechte Nachrichten aus Syrien" - dann ist von der Familie wieder jemand ums Leben gekommen. Vor ein paar Wochen kam die Nachricht, dass einer seiner Onkel getötet wurde. "Alle 18 bis 25 Jahre alten Männer werden zum Militär eingezogen", erklärt Yaseen.
Ein anderer seiner Onkel hatte mehr Glück. Im letzten September schlug er sich erst mit dem Boot und dann zu Fuß auf der Balkanroute zusammen mit seiner Familie durch. Auch er ist jetzt in Dortmund.
Wie hat das alles in Syrien angefangen? Yaseen war etwa 15 Jahre alt, erinnert er sich. "Ich war in der neunten Klasse, da macht man in Syrien sein Abitur. Ich weiß noch, dass ich damals meine Klausuren geschrieben habe. Wir hatten immer Angst vor dem Bomben in Aleppo."
Nach und nach wurde die Situation in Syrien immer unübersichtlicher. Zu den Konfliktparteien Armee und Rebellen kamen IS, Al Kaida, Hisbollah und die kurdischen Unabhängigkeitskämpfer hinzu. "Jeder kämpft gegen jeden, und dann werden die verschiedenen Parteien auch noch von anderen Staaten wie Russland, der Türkei, China und dem Iran entweder unterstützt oder bekämpft. Die Situation wird immer schlimmer."
Ein Stellvertreterkrieg - der sich noch lange hinziehen kann. Mittlerweile ist Aleppo zu rund 70 Prozent zerstört, Homs sogar zu rund 90 Prozent. "Man kann dort nicht leben", erklärt Yaseen. Freunde und Verwandte sind in Aleppo geblieben. "Es gibt dort kein Wasser, keinen Strom, kein Gas, und wenn, dann nur zeitweise. Rund fünf Millionen Menschen sind nach Damaskus geflohen, jetzt leben dort etwa zehn Millionen Menschen."
Traurig ist Yaseen vor allem über die mangelnde Solidarität anderer arabischer Staaten: " Syrien hat immer Flüchtlinge aufgenommen, zum Beispiel während des Irakkriegs, oder aus dem Libanon. Saudi-Arabien ist so ein reiches Land, hat viel Erdöl, aber es nimmt keine Leute aus Syrien auf."
Früher wurde in der Familien oft über diese Themen gesprochen, doch jetzt nicht mehr: "Es geht nur noch darum, wer dort noch am Leben ist." Der Blick geht in die Zukunft: "Alle machen im Moment Sprachkurse", lacht Yaseen. Ein Bruder und eine Schwester gehen in seine Klasse, seine kleine Schwester besucht eine Grundschule.
Am Borsigplatz hat die Familie eine Wohnung gefunden. Yaseen hat Freunde gefunden, auch deutsche. "Wir gehen zusammen raus, chatten über WhatsApp." Auch die Lehrer haben in vielen Dingen geholfen. überhaupt, viele nette Menschen in Dortmund waren zur Stelle, besonders als die Familie ankam. Im letzten Jahr konnte sie dann selbst helfen, im Keuninghaus. Auch Yaseen war dort.
Es gab aber auch Diskussionen in der Schule, zum Beispiel nach den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln oder nach den Anschlägen in Frankreich: "Manche Leute denken, dass aus Syrien Terroristen nach Deutschland kommen, das finde ich traurig. Wir sind ganz normale Menschen, wir brauchen eine Chance."
Viele Freunde von Yaseen studieren schon in Deutschland, "ganz viele Medizin. Ich kenne auch schon einige, die als Arzt oder Ingenieur arbeiten." Auch Yaseen hat schon als Kind davon geträumt, hier in Deutschland Medizin zu studieren. Dafür muss er hier in Deutschland noch viel tun: "Ich brauche gute Noten und muss besser Deutsch lernen, das ist schwer zu erreichen."
Mit Freunden werden auch gesellschaftliche Fragen diskutiert: Ich kenne einige Leute, die in Frankreich leben. Sie sagen, dass wir hier in Deutschland mehr Freiheiten haben als in Frankreich." Auch der westliche Lebensstil wird erörtert: "Wenn ich hier leben will, muss ich die Gesellschaft hier akzeptieren. Man kann hier alles machen, ich finde das Leben hier sehr gut."
Dennoch, das Heimweh bleibt. Und die Hoffnung, eines Tages, wenn der Krieg vorbei ist, wieder zurück nach Aleppo zu gehen.
Autor:Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City |
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