Es ist nie zu spät... ...zum Abitur nachholen
Das dachte sich auch Barbara F. aus Menden, als sie kürzlich am Westfalen-Kolleg das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife im Alter von 72 Jahren feierlich überreicht bekommen hat. Die familiären und beruflichen Umstände in ihrem bewegten Leben haben dazu geführt, dass sie erst jetzt „endlich mal was für sich selbst tun“ konnte, so Barbara.
In ihrer Jugendzeit musste sie bereits frühzeitig Verantwortung übernehmen; der Vater frühzeitig verstorben, die Mutter berufstätig und alleinerziehend mit drei Kindern, so dass Barbara - als älteste der drei Geschwister - einen Großteil der Verantwortung für das Familienleben übernahm. „Man musste Wünsche und Ziele zurückstellen, auch wenn man gerne andere Wege eingeschlagen hätte“, blickt Barbara auf diese Zeit zurück. So kam es dann, dass sie nach der Volksschule und Handelsschule ihre Lehre zur Industriekauffrau erfolgreich abschloss, um frühzeitig Geld für die Haushaltskasse zu verdienen. Denn „wenn unserer Mutter etwas zustoßen würde, muss für meine kleinen Geschwister gesorgt sein, es ging nicht anders“, so Barbara. Die Jahre vergingen, die Geschwister machten Karriere an der Uni und in der freien Wirtschaft. Barbara ackerte unermüdlich in ihrem Job, als Chefsekretärin, Finanzbuchhalterin und zuletzt - nach erfolgreicher Weiterbildung zur Betriebswirtin - 24 Jahre als Mitglied der Geschäftsleitung eines mittelgroßen Handwerksbetriebes, heiratete zwischendurch und versorgte lange Zeit ihre im Alter erblindete Mutter.
Als sie dann ins Rentenalter eintrat und sich die Arbeit reduzierte, war der Punkt erreicht, etwas für sich selbst zu tun. Nach der langen Zeit, in der sie sich für die Familie und für den Betrieb aufopferte - sozusagen im strengen Korsett lebte - vergaß sie jedoch, was sie denn eigentlich möchte. Etwas, das einem gut tut, das wollte sie. So besann sie sich auf Dinge, für die sie Jahrzehnte nie so richtig Zeit hatte: Literatur, Kunst, Kultur, einfach Muße für allgemeine Bildung. Sie setzte da an, was sie vor über einem halben Jahrhundert gerne angestrebt hätte, nämlich das Abitur. So meldete sie sich zunächst an einem Abendgymnasium in der Nähe ihres Wohnortes an. Aufgrund der am Westfalen-Kolleg angebotenen Fächervielfalt (v.a. Philosophie, Religion und Kunst) wechselte sie jedoch nach kurzer Zeit dorthin. Dafür nahm sie täglich einen weiten Weg auf sich: etwa 1,5 Stunden einfacher Schulweg von Menden bis nach Dortmund zum Westfalen-Kolleg. Nach dem ersten Gespräch mit dem damaligen stellvertretenden Schulleiter wusste sie aber, das ist ihre Schule. „Hier ist man Mensch, egal wie alt man ist, woher man kommt und was man vorher gemacht oder nicht gemacht hat“, berichtete Barbara mit voller Überzeugung. Diese Offenheit hat Barbara von allen Seiten innerhalb der Schule kennengelernt, egal ob von Mitstudierenden, Lehrkräften, SchulsozialarbeiterInnen, Sekretariatsmitarbeitern, Hausmeistern und natürlich auch vom Cafeteria-Betreiber und seinen Mitarbeiterinnen. Keiner belächelte sie aufgrund ihres Alters.
Es gab natürlich auch Hürden, die sie zu überwinden hatte: Die Einarbeitung und Benutzung eines Computeralgebrasystems im Mathematikunterricht zählte zu den schwierigsten. Blickt man allerdings zurück auf das, was Barbara in ihrem Leben alles bisher gemeistert hat, dürfte zum damaligen Zeitpunkt klar gewesen sein, dass sie auch diese Hürden erfolgreich meistern würde. Das tat sie auch. Sie erlangte insgesamt einen Abiturdurchschnitt von 2,5. Das sei ihre persönliche Traumnote, so Barbara.
Mit einem weinenden Auge blickt Barbara auf ihre Schulzeit zurück und zog für sich das Fazit, dass die Zeit am Westfalen-Kolleg für sie die schönste zusammenhängende Zeit in ihrem Leben war. Mit einem lachenden Auge blickt sie aber auch auf die Zukunft: Am liebsten würde sie Philosophie und Deutsch studieren, der Ort ist egal, sie ist flexibel. Sie hofft, dass sie an der Universität genauso gut aufgenommen wird wie am Westfalen-Kolleg und noch ganz viel Zeit hat, sich weiterzubilden.
Jetzt müsse sie aber erst einmal ein bisschen auftanken, eine kurze (!) Verschnaufpause einlegen, und dann geht es weiter...und das gemäß ihrem Lebensmotto : Wenn ich etwas mache, dann mit Liebe; sonst würde ich es nicht tun können.
Das Westfalen-Kolleg Dortmund ist eine Schule des Zweiten Bildungsweges. Das „Abitur nachholen“ kann man hier zwei Mal im Jahr, zum Sommertermin (gemeinsam mit den Gymnasien) und zum Wintertermin, zu dem nur an Weiterbildungskollegs das Abitur erlangt werden kann.
Zum nächsten Semesterbeginn am 29. August sind in den Bildungsgängen "Abendgymnasium", "Kolleg“ (ganztags) und "Abitur-Online" noch Plätze frei. Informationen finden Sie unter: www.westfalenkolleg-dortmund.de oder 0231/139050.
Autor:Clemens Brust aus Dortmund-City |
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