„Alles Nutten, oder was?“ Diskussion in voll besetzter Petri-Kirche Ina und Anna: „Wir wollen nicht stigmatisiert werden!“
Vom Bordell in die Kirche
Ina und Anna arbeiten seit Jahren als Prostituierte in einem Haus in der Linienstraße. An diesem Abend begaben sie sich „außer Haus“ und gingen in die Kirche. Nicht, um zu beten, sondern um an einer Diskussion teilzunehmen mit dem Titel: "Alles Nutten, oder was? Sind Prostituierte die Mülleimer der Gesellschaft?" Dazu hatte der Förderverein der Dortmunder Mitternachtsmission eingeladen, die in diesem Jahr ihr 100jähriges Bestehen feiert. Ina und Anna hatten Klaus mitgebracht, einen ihrer Freier. Während die beiden Frauen sich mit Sonnenbrille und Perücken unerkennbar machten, verbarg Klaus sein Gesicht hinter einer Donald-Trump-Maske – was ja bei der Vorliebe des amerikanischen Präsidenten für Pornostars nicht unpassend war.
Bilder aus dem Milieu
Auf dem Podium in der Petrikirche: Jutta Geißler-Hehlke, die langjährige Chefin der Mitternachtsmission und Vorsitzende des Fördervereins, Andrea Auras-Reiffen, Superintendentin der evangelischen Kirche, Heiner Minzel, Ex-Polizist und ehemaliger Chef der Dortmunder Sitte, Nedo Setka, Bordellbetreiber in der Linienstraße und Dr. Friedemann Grenz, Moderator.
An den Wänden: Zahlreiche Bilder der Künstlerin Bettina Brökelschen, die zwei Jahre lang immer wieder das Bordell besuchte, um die dort arbeitenden Frauen zu malen. Dass so ein vertrauensvoller Kontakt entstehen, versteht sich fast von selbst. Die Gemälde zeigen die Frauen, die Freier, die Helfer, den Bordellbetreiber und den Polizisten, der das kriminelle Umfeld im Rotlichtmilieu im Blick behält.
„Wir werden nicht wie andere Menschen behandelt.“
Diese Feststellung machten Ina und Anna gleich zu Beginn der Diskussion. Wenn sie nach ihren Berufen gefragt werden, haben sie Probleme – zum Beispiel bei der Wohnungssuche. Sie fühlen sich stigmatisiert – auch durch das neue Prostitutionsschutzgesetz, das eine Art „Arbeitspass“ für sie gesetzlich vorschreibt. Ina und Anna zahlen Steuern, doch ihr Beruf wird von der bürgerlichen Gesellschaft oft mit Abscheu betrachtet.
Klaus, ihr Freier, gehört zur bürgerlichen Gesellschaft – wie die meisten Kunden – sonst gäbe es den Beruf der Prostituierten nicht. Wie offen er damit umgeht, dass er seinen Sexualtrieb im Bordell befriedigt, bleibt ambivalent.
Freiwillige Prostitution ist nicht kriminell
Menschenhandel und Zwangsprostitution haben in der Linienstraße nichts zu suchen. Dafür sorgt die Polizei, aber auch Nedo Setko, der einige Häuser betreibt. Das wurde klar, als das „Dortmunder Modell“ erwähnt wurde. Hier kommen Bordellbesitzer, Polizei, Ordnungsamt und die Mitternachtsmission regelmäßig zu Gesprächen zusammen, um kriminelle Aktivitäten zu benennen und sie zu unterbinden.
Superintendentin Andrea Auras-Reiffen wandte sich gegen Diskrimininierung und Stigmatisierung, sprach sich aber dafür aus, dass Frauen, die aus dem Rotlichtmilieu hinaus wollen, geholfen werden muss – Hilfestellungen, die sie Mitternachtsmission schon seit 100 Jahren gibt.
Spannende Fragen aus dem Publikum
„Was kostet ein Besuch bei euch?“ Auch diese Frage kam aus dem Publikum. „Wir fragen Sie doch auch nicht, wieviel Sie verdienen“ – das war die selbstbewusste Antwort von Anna und Ina. „Das ist Verhandlungssache“, vervollständigte Jutta Geißler-Hehlke die Antwort. Aus Berlin waren Vertreterinnen von „Terre des femmes“, einer Menschenrechtsorganisation für Frauen, angereist, die radikale Positionen in Sachen Prostitution vertreten.
Anderthalb Stunden dauerte die heiße Diskussion in der kalten Petri-Kirche. Zum Schluss appellierte Moderator Dr. Friedemann Grenz an alle, Prostituierten mehr Respekt entgegenzubringen. Ein Fazit, mit dem alle einverstanden waren.
Autor:Jutta Geißler-Hehlke aus Dortmund-City |
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