SG Dortmund weist Klagen zu Unterkunftskosten ab, macht aber den Weg zum LSG frei

Am 01.12.2016 verhandelte die 19. Kammer des Sozialgerichts Dortmund in drei Verfahren (S 19 AS 965/15; S 19 AS 3392/15; S 19 AS 4282/15) über die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Märkischen Kreis. Eine inhaltliche Prüfung der korrekten Anwendung des erhobenen Datenmaterials erfolgte allerdings nicht. Es lag nicht vor.

Zum Nachweis der Angemessenheit von Wohnkosten hatte das Bundessozialgericht bereits vor Jahren in mehreren Verfahren konkrete Vorgaben zur Datenerhebung entwickelt.

Gleich zu Beginn der Verhandlung stellte der Vorsitzende Richter Lund fest, dass er davon ausgehe, dass die Überprüfung dieses Konzeptes ohnehin dem LSG NRW angetragen werde.

Entscheidung ohne konkret überprüfte Fakten

In dem Verfahren S 19 AS 965/15 wurde die Klage einer Frau aus Hemer verhandelt, die nach Modernisierungsarbeiten deutlich höhere Mietkosten zu tragen hat, als das Jobcenter zu übernehmen bereit war.

Die Rechtsanwältin im ersten Verfahren ließ weder erkennen, dass sie über das im Streit stehende Konzept der Fa. Analyse & Konzepte vollinhaltlich Kenntnis hatte, noch ließen Ihre Einwände darauf schließen, mit der Kernproblematik der Datenerhebung solcher „schlüssigen Konzepte“ hinreichend vertraut zu sein.

In diesem Verfahren wurde Oliver Strege von der Firma Analyse & Konzepte als Zeuge angehört. Er schilderte ausführlich die allgemein übliche Vorgehensweise bei der Erstellung solcher Konzepte. Außerdem räumte er ein auch bei der Erstellung des Konzeptes im Hochsauerlandkreis federführend beteiligt gewesen zu sein.
Dieses Konzept wurde in dem Verfahren des SG Dortmund, Az.: S 62 SO 444/14 vom 19.02.2016 aufgrund kompetenter Einwände und Sachfragen als nicht schlüssig verworfen.

Die ehrenamtlichen Richter Witthüser und Hommann stellten keine Fragen und ließen auch nicht erkennen, ob sie dem überaus komplizierten Verfahrensgang überhaupt inhaltlich folgen konnten.

Mehrfach erwähnte der vorsitzende Richter Lund, das das Konzept zur Feststellung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Märkischen Kreis lediglich auf einer privaten Homepage verfügbar sei: harald-thome.de

Tatsächlich ist es ebenfalls auf einem Portal fragdenStaat.de im Volltext verfügbar.

Und während der Vorsitzende Richter Lund in einer „vorläufigen rechtlicher Würdigung“ vom 21.09.2016 noch Bedenken hinsichtlich der unterlassenen Veröffentlichungspflicht und der Aktualität der Daten äußerte, nahm er seine Vorbehalte bereits zu Beginn der ersten Verhandlung zurück.
Prozessentscheidend war sicherlich auch, die vorgegebene Reihenfolge der Termine. Die Entscheidung über die „Schlüssigkeit des Konzeptes“ wurde bewusst in einem Verfahren verhandelt, bei dem nicht erkennbar war, ob der Anwältin überhaupt ein Exemplar des vollständigen Konzeptes zugestellt worden war.

Entsprechend schwach war die Kritik an der hier zugrundeliegenden Datenerhebung. Der freie Vortrag des „Zeugen“ wurde kaum unterbrochen.

Das Verfahren endete mit dem Anerkenntnis des Konzeptes in Ermangelung fachkompetenter Sachkritik. Eine Prüfung der tatsächlich erfassten Daten erfolgte nicht.

Die Entscheidung war gefallen

Rechtsanwalt Lars Schulte-Bräucker, der nach eigenen Aussagen mehr als einhundert Betroffene in Fragen zum schlüssigen Konzept vertritt, wurde mit vollendeten Tatsachen konfrontiert. Dieses hohe Klagevolumen des Anwalts ist gerichtsbekannt. Die persönliche Sachkenntnis von Einzelschicksalen und Einzelfallproblemen bei der Wohnungssuche wäre sicherlich besser geeignet gewesen, die Schwachstellen der streitigen Datenerhebungen zu konkretisieren.

Aber die Reihenfolge der Terminierung war vom Richter vorgegeben worden.

Als Schulte-Bräucker darauf hinwies, dass 9 von 61 Seiten des Konzeptes als „Mietwerterhebung Saalekreis 2012“ ausgewiesen waren (die gesamte Anlage 1 (S. 44-53) weist 15 Histogramme aus) zeigte sich, dass der vorsitzende Richter anscheinend ein anderes und inhaltlich verändertes Exemplar vor sich hatte, als im Internet durch Privatpersonen veröffentlicht worden war.

Das Gericht hielt es dennoch nicht für erforderlich diesen Tatbestand auf weitere Datenmanipulationen hin zu überprüfen. Damit war auch eine Überprüfung, ob die dem Konzept zu Grunde liegenden Daten überhaupt valide seien, ebenfalls verunmöglicht worden.

Selbst einfachste Fragen zur Datenerhebung blieben gänzlich unbeantwortet. So zum Beispiel auch die Frage, warum die Konkurrenten um günstigen Wohnraum, die „sonstige Nachfragegruppe“ lediglich – aus Betroffenen Sicht unzureichend - als Schätzung ausgewiesen wird?

Der unabhängigen Kontrolle entzogen

Die Wichtigkeit der Frage des Publikationsgebotes erschloss sich bereits aus dem ersten Verfahren. Die Schlüssigkeit des Konzeptes wurde keineswegs bewiesen, sondern lediglich aus der mangelnden Sachkritik abgeleitet. Eine Prüfung der Datenerhebung steht noch immer aus.

Das Sozialgericht Bayreuth hatte sich am 26.05.2015 in der Entscheidung S 4 AS 102/15 auf eine Entscheidung, des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.11.2004 (Az. 5 CN 1 /03) berufen, in dem herausgestellt worden war, dass Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Außenwirkung gegenüber Dritten durch Bekanntgabe der Öffentlichkeit bekannt zu machen sind. Diese Rechtspflicht zur Publikation ermöglicht erst eine unabhängige Überprüfbarkeit der Daten und Fakten.

Der vorsitzenden Richter Lund sprach hingegen, von einem nur „formellen Fehler“, der aber nicht dazu führe, dass die ermittelten Miethöhen in der Praxis nicht eingesetzt werden dürften.

Es war als ob . . .

Als Grundschüler habe ich auch einmal meinem Lehrer meine Vorgehensweise beim Rechnen vorgetragen. Er hörte auch interessiert zu. Bei der Überprüfung meiner Zahlen kam der Lehrer jedoch zu einem abweichenden Ergebnis. Dies schlug sich in meiner Note nieder.

Fazit

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass

die Entscheidung über die Angemessenheit des Konzepts zwingend mit der Reihenfolge der Verhandlungen verbunden war

das Gericht darauf verzichtet hat, das dem Konzept zugrundeliegende Zahlenmaterial auf Authentizität zu überprüfen

weder die drei Richter noch die Rechtsanwältin im ersten Verfahren kritische Fragen über die Datenerhebung stellten

das im Streit stehende 61seitige Konzept in 9 Seiten abweichend war von dem, dem Richter vorliegenden Konzept und fehlerhaft. 9 Seiten sind immerhin 14,75 % des gesamten Konzeptes

zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ob weitere Datenmanipulationen in das Konzeptexemplar für das Gericht eingepflegt wurden

weitere Quellen
wdr

ikz-online.de

Autor:

Ulrich Wockelmann aus Iserlohn

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