OB: "Anfrage der Rechten ist menschenverachtend"

Ullrich Sierau: "Der Vorgang zeigt uns, dass der Schoß noch immer fruchtbar ist und wir keine Sekunde in unserer Aufmerksamkeit nachlassen dürfen." | Foto: Archiv
  • Ullrich Sierau: "Der Vorgang zeigt uns, dass der Schoß noch immer fruchtbar ist und wir keine Sekunde in unserer Aufmerksamkeit nachlassen dürfen."
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Für bundesweite Empörung sorgte eine schriftliche Anfrage der Rechten im Dortmunder Rat. Ratsmitglied Giemsch verlangte Auskunft über die Zahl der in Dortmund lebenden Juden - insgesamt und nach Stadtbezirken getrennt.

Dazu stellt Oberbürgermeister Ullrich Sierau fest:„Jüdisches Leben bereichert seit Jahrhunderten in Deutschland und in Dortmund das gesellschaftliche Miteinander und hat vielfältige und nachhaltige Spuren hinterlassen.
Das Nazi-Terrorregime hat die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in den 1930-er und 1940-er Jahren systematisch verfolgt, versklavt und umgebracht. 2078 Jüdinnen und Juden allein aus Dortmund fanden zwischen 1933 und 1945 den Tod.
Trotz des Holocaust-Verbrechens haben Menschen jüdischen Glaubens wieder Vertrauen gefasst in ein respektvolles, friedliches und von Toleranz getragenes Zusammenleben hier und anderswo in Deutschland. Die jüdische Gemeinde Dortmund hat mit etwa 3.700 Mitgliedern inzwischen wieder eine Stärke erreicht, die in der Nähe derjenigen liegt, die sie vor der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte hatte. Wir freuen uns über jedes Kind, jede Frau und jeden Mann jüdischen Glaubens, der hier in Dortmund mit uns zusammen leben will.

"Antisemitischer Ungeist"

Vor diesem Hintergrund ist die Anfrage der Nazis ein Vorgang, der von einem unerhörten menschenverachtenden, antisemitischen und rassistischen Ungeist zeugt. Der Vorgang zeigt uns, dass der Schoß noch immer fruchtbar ist und wir keine Sekunde in unserer Aufmerksamkeit nachlassen dürfen.
Auch wenn in § 55 der Gemeindeordnung NW jedem Ratsmitglied das Recht zugesprochen wird, Fragen an die Verwaltung zu stellen, und der Oberbürgermeister verpflichtet wird, sie zu beantworten, werden wir in diesem Fall die gestellten Fragen im Rahmen des geltenden Rechts so zurückhaltend wie möglich beantworten. Die Stadt Dortmund wird die Anfrage im Übrigen auch dem Staatsschutz zur Verfügung stellen.“
Die Antwort auf die Anfrage wird dem Rat voraussichtlich zu seiner nächsten Sitzung am 11. Dezember vorgelegt werden.

Gründe fordern: "Anfrage nicht beantworten!"

"Die Anfrage sorgt für Empörung und Entsetzen in der gesamten Stadt und weit darüber hinaus. Überraschend ist die Anfrage allerdings nicht", meinen die Grünen Markus Kurth (MdB) und Daniela Schneckenburger (MdL). "Rassistische und antisemitische Politiker stellen mehr oder weniger rassistische und antisemitische Fragen, die sich unter dem Deckmantel demokratischer Anfragen verstecken", sagen sie. Seit der Kommunalwahl sei dies regelmäßig in den Sitzungen des Rates und den Bezirksvertretungen zu beobachten. In der Ratssitzung am Donnerstag sei jedoch nicht nur nach jüdischen Mitbürgern, sondern auch nach der Zahl aidskranker Menschen in Dortmund sowie nach Adressen von Ratsmitgliedern gefragt worden.

Klare Spielregeln für den Umgang

Die Grünen sehen darin ein Mittel, ein Klima der Angst, der Einschüchterung und der Bedrohung zu schaffen. Gut sei es, dass der Rat klare Spielregeln für den parlamentarischen Umgang aufgestellt habe und sich auf diese Situation vorbereitet hat. Rassistische, antisemitische oder diskriminierende Äußerungen werden vom Oberbürgermeister stellvertretend für den gesamten Rat zurückgewiesen oder mit Möglichkeiten der Geschäftsordnung beantwortet.

Gesellschaft muss klares Signal geben

Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist die Anfrage zur Anzahl von jüdischen Bürgern in Dortmund für die Grünen ein weiterer Tabubruch. "Unsere Solidarität gehört den Menschen jüdischen Glaubens, die sich durch diese Anfrage an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte erinnert fühlen müssen", so Fraktionssprecher Ulrich Langhorst. Seine Partei fordert, dass der Oberbürgermeister die Anfrage vor dem Hintergrund des offensichtlichen antisemitischen Hintergrundes nicht beantwortet.
Und eine zweite grüne Forderung lautet, dass die städtischen Gelder gegen Rechtsextremismus im Rahmen der Haushaltsberatungen nicht gekürzt werden.
Und weiter: "Und wird sind der Auffassung, dass die gesamte Stadtgesellschaft ein klares und eindeutiges Signal der Solidarität mit der jüdischen Kultusgemeinde geben muss", so die Grünen. Und dieses Signal heiße: "Jeder auch nur versuchte Angriff auf die jüdische Gemeinde und ihre Mitglieder ist ein Angriff auf das gesamte demokratische Dortmund."
Dazu das Bündnis gegen Rechts, das sich seit 15 Jahren in Dortmund engagiert: "Die Anfrage nach den zurzeit in Dortmund lebenden Juden ist in ihrer Perfidie nicht zu übertreffen. Neben Empörung und Zorn wird sie aber auch den Widerstand aller Dortmunder Demokraten weiter stärken."

Katholische Kirche ist empört

Mit großer Empörung reagierte die katholische Kirche in Dortmund auf die jüngste Provokation der Partei „Die Rechte“ im Rat. Die Frage nach der Zahl der in Dortmund lebenden Juden stehe in der „Kontinuität der menschenverachtenden Geschichte dieser ,Partei‘“, heißt es in einem Brief, den Propst Andreas Coersmeier an Oberbürgermeister Ullrich Sierau schrieb. Er bittet darin den Oberbürgermeister, diese Frage so knapp und so ungenau, wie rechtlich möglich, zu behandeln. Wenn überhaupt Zahlen erwähnt werden müssten, könnten jüdische und christliche Gläubige gemeinsam genannt werden.
In einem Brief an die Jüdische Kultusgemeinde in Dortmund erklärte Propst Coersmeier die Solidarität der Katholischen Stadtkirche mit den Menschen jüdischen Glaubens in Dortmund. Im Einsatz gegen menschenverachtenden Rassismus, Antisemitismus und Rechtsradikalismus fühle sich die katholische Kirche mit der jüdischen Gemeinde sowie mit allen demokratischen Kräften in Dortmund verbunden.

Autor:

Antje Geiß aus Dortmund-City

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