Mit Kunst gegen Verstümmelung

Peggy Steike: Die Nächste bitte
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Die Geschichte von Waris Dirie hat die schreckliche Tradition der weiblichen Beschneidung öffentlich gemacht. In vielen Ländern Afrikas werden Mädchen und sogar schon Babys ohne Betäubung und unter schlimmsten hygienischen Bedingungen verstümmelt. Viele Organisationen und Vereine auf der ganzen Welt kämpfen dagegen. Der Verein Tabu in Dortmund will mit einer besonderen Aktion Aufmerksamkeit erregen, davon später mehr.

Die weibliche Genitalverstümmelung FGM ist ein grausames Ritual und wird international als schwere Folter und Menschenrechtsverletzung eingestuft. Die Ausübung dieser so genannten „Beschneidung“ erfüllt in Deutschland den Straftatbestand einer schweren bis gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223 – 226. Eine Strafverschärfung mit dem Zusatz 226a „Genitalverstümmelung“ wird derzeit angestrebt.

Weltweit – so die Schätzungen der UN-Weltgesundheitsorganisation - sind etwa140 Millionen Frauen davon betroffen, jedes Jahr werden weitere rund drei Millionen Mädchen und junge Frauen illegal dem Ritual unterworfen, also ungefähr 8000 junge Frauen pro Tag!

FGM wird vorwiegend in 28 Ländern Afrikas sowie einigen arabischen und asiatischen Staaten praktiziert. Doch pro Jahr sind auch in Deutschland bis zu 50 000 Mädchen gefährdet, davon rund 10 000 allein in NRW.

Ein regelrechter „Verstümmelungstourismus“ ist auszumachen: Mädchen müssen sich diesem grauenhaften Ritual in den „Heimatferien“ unterziehen. Der Bildungsstand der Eltern ist leider nicht immer eine Garantie dafür, dass Töchtern diese Folter erspart bleibt.

Weibliche Genitalverstümmelung kann nicht rückgängig gemacht werden. Die Mädchen erleiden schwerste körperliche Verletzungen, sind zutiefst traumatisiert, die Todesrate beim Eingriff selbst oder in Folge davon (Krankheiten, Sex, Schwangerschaft und Geburt) ist erschreckend hoch. Bei der „pharaonischen Beschneidung“, der schlimmsten Form von FGM handelt es sich um eine Infibulation (lat. Fibula = Verschluss).

Dabei werden die gesamten äußeren Geschlechtsteile der Mädchen abgeschnitten und verbleibende Hautlappen der ausgekratzten äußeren Schamlippen und des Venushügels über der klaffenden Wunde bis auf eine winzige Öffnung für den Abfluss von Urin und Menstruationsblut mit Nähmaterial, Akaziendornen oder Baumharz (Malmala) verschlossen. Als Ergebnis ist eine flache Hautbrücke gewünscht, mit einer möglichst glatten Narbe als "Verschluss". In der Hochzeitsnacht müssen die Genitalien der Betroffenen mit Gewalt geöffnet werden, wobei vom Ehemann auch Gegenstände (z. b. Messer) zu Hilfe genommen werden.
Wohnt im Dorf eine Beschneiderin, wird sie in der Hochzeitsnacht meist um Hilfe gebeten, die Narbe zu öffnen. Damit die blutende Vagina/Wunde sich nicht wieder verschließt, muss der Ehemann die Braut in den folgenden Tagen so oft wie möglich penetrieren. Für die Frauen ist diese Zeit eine Qual. Es kommt immer wieder vor, dass die jungen Bräute versuchen, Zuflucht bei ihren Eltern oder Verwandten zu suchen, die sie jedoch wieder in das Haus des neuen Bräutigams zurückschicken, damit das Brautgeld (Dhauri) nicht zurückgezahlt werden muss, denn eine gekaufte Braut wird vom Ehemann und seiner Familie als Eigentum betrachtet. Eine davonlaufende Braut wird ihrer Herkunftsfamilie "Schande" bereiten, was empfindliche Sanktionen (z. B. Schläge und Ächtung der Dorfgemeinschaft) nach sich ziehen wird.
Bei jeder Geburt werden die vernarbten Genitalien der Frauen weiter aufgeschnitten (Defibulation) und anschließend wieder zugenäht (Re-Infibulation). Verhärtete Narbenränder müssen für ein erneutes Zunähen abgetrennt werden, so dass die Hautspannung aufgrund schwindenden Gewebes den Frauen Schwierigkeiten bereiten kann.

Seit über zehn Jahren kämpft der gemeinnützige Dortmunder Verein Tabu e.V. gegen die grausamen Praktiken der weiblichen Genitalverstümmelung und unterstützt konkret ein Schutz- und Bildungsprojekt in Kenia. Die Erfolge ermutigen. Hier in Deutschland fordert Tabu endlich staatliche Maßnahmen, um gefährdete Mädchen effektiv zu schützen. Denkbar wären einschlägige Gesetze sowie die Einführung einer ärztlichen Meldepflicht (bei erfolgter oder drohender Verstümmelung) in Kombination mit einer amtsärztlichen Untersuchungspflicht.

Das Vereins-Engagement richtet in Deutschland primär darauf, eine wirksame Prävention für bedrohte Mädchen zu erwirken, was bisher aufgrund der widersprüchlichen Gesetzeslage noch nicht möglich ist: Elternrecht geht hier immer noch vor Kindeswohl.

Um den sogenannten Generalverdacht gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe - im Grundgesetz verankert - zu berücksichtigen, müssten in Deutschland außerdem alle hier lebenden Kinder bis zur Pubertät regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen zugeführt werden. Ärzte, die eine Genitalverstümmelung bei einer betroffenen Frau oder einem Mädchen feststellen, oder einen Verdacht haben, dass sie durchgeführt werden soll, müssten von ihrer Schweigepflicht entbunden werden und zur Meldung verpflichtet werden. Genitalverstümmelungen an Mädchen gelten bereits als Offizialdelikt, d. h. sind wie ein anderes Verbrechen meldepflichtig. Leider sieht niemand die Genitalien außer den Ärzten. Insofern können diese Verbrechen kaum geahndet werden. Es kam in BRD noch nie zu einer Verurteilung. Ein weiteres Problem stellt der Beschneidungstourismus dar: Eltern können ihre Mädchen im Ausland verstümmeln lassen. Dies geschieht auch innerhalb der EU.

Viele Vereine und Organisationen, die als ursprüngliches Ziel die Bekämpfung von FGM hatten, sprechen sich auch gegen die männliche Beschneidung aus, oder anders gesagt: Die Beschäftigung mit der Tradition der FGM führt dazu, sich auch mit der männlichen Genitalverstümmelung zu beschäftigen und sie abzulehnen:

„Sowohl die männliche wie auch die weibliche Genitalverstümmelung sind mehrere Tausend Jahre alte Traditionen. Vermutlich sind sie im selben Kulturraum von Nordafrika (Ägypten) entstanden. Zur damaligen Zeit ein Fortschritt, denn man geht davon aus, dass sie Menschenopfer ablösten (Beispiel von Abraham). Bei sämtlichen Völkern, die weibliche Genitalverstümmelung durchführen, werden auch die Männer beschnitten.

Sowohl mit der FGM (Female Genital Mutilation) als auch mit der MGM (Male Genital Mutilation) wird das sexuelle Empfinden eingeschränkt oder gänzlich ausgeschaltet (Schmerzen bleiben). Die abgeschnittene Vorhaut bei Jungen/Männern kann bis zu 50 Prozent der gesamten Penishaut ausmachen - und manchmal mehr. Auch MGM kann erhebliche gesundheitliche Komplikationen verursachen... es soll sogar Todesfälle geben, Statistiken werden weder bei FGM noch bei MGM erstellt. Eine seriöse Forschung wäre endlich notwendig. Fakt ist, dass FGM nicht immer in der schwerwiegendsten Form durchgeführt wird, aber auch dass MGM kein harmloses Geschnippel ist, dass der "hygienischen Verschönerung" dient. Genau das Gegenteil ist ja der Fall.“, erklärt Ulla Barroso.

„Wir sind grundsätzlich gegen jede Form der " Beschneidung", die in Wirklichkeit nichts anderes sind als sexuelle Verstümmelungen und Gewaltausübung an Kindern. Unser Ziel ist es, Kinder davor zu schützen. Deshalb begrüßen wir insbesondere Arbeit der Beschneidungsgegner in Israel, die endlich ein Umdenken hierzu fordern [Brit shalom statt Beschneidung]. Das neue Gesetz zur Legalisierung von MGM empfinden wir als ein Unding und nicht akzeptabel. Was vor tausenden Jahren ein Fortschritt gewesen sein mag, ist heutzutage eine Menschenrechtsverletzung.“

In der Tat war die hastige Verabschiedung des Gesetzes zur Beschneidung am 12.12.2012 den Interessen von Religionen verpflichtet, nicht dem Kinderschutz. Organisationen wie Terre des femmes befürchten, dass fundamentalistische Muslime das Gesetz dazu nutzen könnten, die Entfernung der Vorhaut bei muslimische Mädchen (analog zur Entfernung der Vorhaut beim Jungen) einzufordern.

In Kenia ist der Verein bestrebt, die fortschrittlichen Kräfte von einheimischen Frauen und Männern zu unterstützen. Im Förderprojekt CAFGEM werden bereits seit 2003 medizinische Unversehrtheitskontrollen durchgeführt. Die Entscheidung und Umsetzung dieser bislang einzigartigen Methode obliegt der Community und den Projektmitarbeiterinnen. Die straffen Förderkriterien geben den Unterstützern die Gewissheit, dass ihre Spenden tatsächlich einem effektiveren Kinderschutz dienen.

Um das Thema stärker in die Öffentlichkeit zu bringen, hat der Verein jetzt ein Kunstprojekt gestartet. „You & Tabu with Art against FGM“. Etwa 40 Künstler aus dem In- und sogar Ausland sind dem ersten – intern lancierten - Aufruf bisher gefolgt. Die Werke und Texte werden sukzessive auf der Website von TABU e.V. präsentiert und auch zum Verkauf angeboten. Oft wird der Erlös der Werke anteilig oder ganz gespendet.

Natürlich freut sich der Verein auch über jede Spende und großzügige Förderer zugunsten der schwierigen Arbeit vor Ort.

Weitere Infos gibt es im Internet unter http://www.verein-tabu.de

Autor:

Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City

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