Frauen gehen für Hebammen auf die Straße

Für Hebammen demonstrierten gestern Frauen vor der Reinoldikirche. | Foto: Schmitz
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Noch vor 100 Jahren war alles ganz einfach: Wurde eine Frau schwanger, ging sie zur nächsten Hebamme. Die Geburt erfolgte daheim mit tatkräftiger Hilfe durch die vertraute Hebamme. Dieses jahrhundertelang gültige Bild hat sich gewandelt, heute kämpft der Berufsstand um sein Überleben.

von Elke Böinghoff
Was den Hebammen dabei zu schaffen macht, ist nicht die fehlende Klientel. Im Gegenteil, die Nachfrage nach ihrer Hilfe bei Schwangerschaft und Geburt ist steigend, vielmehr droht das Aus durch die Weigerung der Versicherer, die Haftpflichtversicherung zu übernehmen.
blem liegt tiefer und betrifft den Stellenwert, den die Hebammen in unserer Gesellschaft haben.
"Gehörte die Hebamme früher quasi zur Familie, steht sie heute am Rande des Systems“, weiß auch Ulrike Linnemann, die als Hebamme auf dem Höchsten arbeitet und 2. Kreisverbandsvorsitzende der Hebammen in Dortmund ist.
Arbeitet eine Hebamme freiberuflich - und das tun in Deutschland rund 16.000 Frauen - muss sie eine Berufshaftpflicht abschließen. Damit sollen auch die Folgekosten durch Geburtsschäden abgedeckt werden. Diese Schäden treten nur selten auf - werden aber durch den medizinischen Fortschritt immer teurer, mittlerweile gehen die Summen in die Millionen. Diese Summen können nicht mehr durch die für Hebammen bereits existenzgefährdend hohen Versicherungsbeiträg aufgefangen werden.

"Das kommt Berufsverbot gleich"

Und dadurch sind Hebammen in den vergangenen Jahren zu einem immer größeren Risiko für die Versicherer geworden, die sich inzwischen zu Konsortien zusammengeschlossen haben, um das finanzielle Risiko „Hebammen“ auf mehrere Schultern zu verteilen. Doch nun verlassen immer mehr Versicherungen diese Konsortien, zuletzt hat die Nürnberger Versicherung angekündigt, ab dem 1. Juli 2015 keine Hebammen mehr zu versichern. Und die verbliebene Allianz-Versicherung hat signalisiert, keine Hebammen mehr aufnehmen zu wollen. „Das kommt einem Berufsverbot gleich“, empört sich Ulla Kayser, die als Hebamme vor rund 30 Jahren das Unnaer Geburtshaus mitaufgebaut hat. Denn ohne Versicherung darf eine Hebamme keine Geburtshilfe leisten.

Wellness statt Geburtsthilfe

In der Konsequenz haben bereits viele Hebammen aufgehört, Geburtshilfe zu leisten. Sie bieten Wellness für Schwangere, Fitness für Mütter oder andere „risikoarme“ Leistungen an. So gibt es auch weiterhin Hebammen - doch mit einem grundsätzlich geänderten Berufsbild. Und den Frauen geht damit die Entscheidungsmöglichkeit verloren, wie sie ihre Kinder zur Welt bringen möchten.

Prämien stiegen eklatant

Auch für angestellte Hebammen zum Beispiel in Krankenhäusern verschärft sich das Problem zusehends. Zwar sind sie über das Krankenhaus versichert, für ein Restrisiko aber selbst verantwortlich. Auch hier stiegen die Prämien eklatant an.
Doch wie soll das Problem gelöst werden? „Der Hebammenverband fordert eine Neustrukturierung der Haftpflichtversicherung mit einer Haftungsobergrenze für Hebammen“, erläutert Ulrike Linnemann. Für Zahlungen, die über diese Grenze hinaus gehen, muss der Steuerzahler oder die Sozialversicherung aufkommen. Und an dieser Stelle ist die Politik gefordert.
Doch abgesehen von Betroffenheitsbekundungen und Absichtserklärunen ist zu diesem Thema noch nicht allzu viel geschehen. Immerhin treffen sich inzwischen Vertreter der fachlich betroffenen Landesministerien mit Vertretern der entsprechenden Berufsverbände und weiterer Organisationen zu einem Runden Tisch Geburtshilfe NRW. Doch ob es hier zügig eine Lösung geben wird, ist mehr als fraglich.

"Vielen ist das nicht bewusst"

„Vielen Menschen ist einfach noch nicht bewusst, was da gerade geschieht“, glaubt Ulla Kayser, „denn wenn man das Problem mal ein bisschen weiterdenkt, werden auch Ärzte über kurz oder lang große Probleme mit ihren Versicherungen bekommen. Schließlich steigen auch für sie die Folgekosten von Behandlungsfehlern.“ Damit wird deutlich, dass das ganze System der Versicherungen in Gesundheitsberufen überdacht und grundlegend geändert werden muss.
Doch zunächst einmal läuft den Hebammen die Zeit davon. Mit dem Wegfall der Nürnberger Versicherung wächst der Druck. Davon zeugen auch viele Postings in den sozialen Netzwerken.
Umso verwunderlicher erscheint es da, dass die Demonstration an der Dortmunder Reinoldikirche privat durch die Hebammenpraxis für Groß und Klein in der Saarlandstraße in Dortmund organisiert war. Ebenso wie andere Demonstrationen in anderen Städten durch dort ansässige Hebammen organisiert werden mussten. Die großen Verbände beschränken sich scheinbar allein auf die politische Arbeit.

Autor:

Antje Geiß aus Dortmund-City

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