Prostituierte wollen wieder im Bordell arbeiten und räumen mit Vorurteilen auf
Christina: "Wir machen das freiwillig!"

Geschlossen sind die 16 Häuser an der Dortmunder  Linienstraße, wo sonst 150 bis 180 Prostituierte arbeiten. Die Frauen sehen sich ihrer legalen Arbeitsstätte und ihrer Existenz beraubt. Immer mehr arbeiten illegal. Keiner will sich outen, sagen die Prostituierten, warum sie nicht fotografiert werden wollen, sie fürchten Diskriminierung.
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  • Geschlossen sind die 16 Häuser an der Dortmunder Linienstraße, wo sonst 150 bis 180 Prostituierte arbeiten. Die Frauen sehen sich ihrer legalen Arbeitsstätte und ihrer Existenz beraubt. Immer mehr arbeiten illegal. Keiner will sich outen, sagen die Prostituierten, warum sie nicht fotografiert werden wollen, sie fürchten Diskriminierung.
  • hochgeladen von Antje Geiß

Rund 160 Frauen sind es, die derzeit in den bunten Häusern der Bordellstraße nicht arbeiten können. Doch Alex, Christina, Gabi und ihre vielen Kolleginnen sorgen sich nicht nur wegen ihren coronabedingten Arbeitsverbots an der Dortmunder Linienstraße. Einige CDU-Politiker wollen ein Sexkauf-Verbot wie in Schweden. 

Christina ist kein Opfertyp. "Ich mache das freiwillig", betont die selbstbewusste Blondine. Keiner zwinge sie auf den Strich zu gehen. Mit vier Kolleginnen ist sie ins Keuning-Haus gekommen, um mit Politikern über ihren Job zu reden und über die Linienstraße, wo sie seit über vier Monaten nicht mehr arbeiten kann.

Diskussion um nordisches Modell

Denn mit dem Verbot durch die Corona-Schutzverordnung, welches die Bordelle betrifft, ist auch die Diskussion aufgekommen, angestoßen von CDU-Politikern, wie in Schweden das Nordische Modell einzuführen. "Ich kann mir meine Arbeitszeit, Arbeitstage, Kunden und Dienstleistungen aussuchen", erzählt Christina, warum sie seit 12 Jahren als Prostituierte ihr Geld verdient. Sie ist es leid, dauernd als Zwangs- oder Armutsprostituierte dargestellt zu werden. Und ihre Kolleginnen Camilla, Gabi, Alex und Nicole pflichten ihr bei. Jetzt in der Pandemie, welche den Bordellbetrieb an der Linienstraße verbietet, lebt sie wie viele Kolleginnen vom Ersparten.

Schließung treibt in die Illegalität

Alle hoffen, bald ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können. Mit Hygienemaßnahmen und Infektionsschutz seien sie in der Linienstraße doch vertraut und warten auf Lösungen, um wieder eine Perspektive zu haben. Die andauernde Schließung der legalen Bordelle treibe Sexarbeiterinnen in die Illegalität.
Und dorthin dränge sie auch das nordische Modell: "Für mich würde das bedeuten, dass ich meine Arbeitsstelle verliere", berichtet Christina im Keuning-Haus CDU-Politikern, Behörden- und Polizeivertretern. Frauen würden sich dann telefonisch verabreden, "und auch wenn ein Kunde komisch wäre, würde man trotzdem reingehen", macht Christina klar, dass die Linienstraße ihr und den anderen Frauen Sicherheit bietet.

Sexkaufverbot gefährdet Existenz

Mit einem Sexkaufverbot für Freier wie in Schweden, fielen Christina viele Kunden weg. "Dann ist meine Existenz gefährdet, ein Leben wie jetzt mit Wohnung und Krankenversicherung wird es dann nicht geben", ist sie sicher.
Eine, die den Prostituierten im Keuning-Haus ganz genau zuhört, ist Sylvia Pantel. Als CDU-Bundestagsabgeordnete hat sie das Prostitutionsgesetz mit durchgeboxt. "Ich bin kein Freund davon, Prostitution zu verbieten", sagt die Politikerin, die viel auf Bordellstraßen unterwegs war, um Schutzmechanismen für die Frauen dort in Paragraphen zu schreiben.
"Zwangsprostitution und Menschenhandel werden schon lange in Deutschland bestraft", räumt Silvia Vorhauer mit falschen Vorstellungen vom Strich auf.

Helferinnen in Sorge

Bei der Dortmunder Mitternachtsmission koordiniert sie die Arbeit mit Prostituierten, die in Bordellen arbeiten . "Wir sorgen uns wirklich, wo die Forderung des Sexkaufverbotes hinführt. Die Prostituierten, da ist sie sicher, führe sie in den Dunkelbereich, wo sich für Helfer wie der Mitternachtsmission nicht mehr erreicht werden können. Denn wenn die Käufer von Sex-Dienstleistungen kriminalisiert werden, müssten Prostituierte verdeckt arbeiten, um ihre Kunden zu schützen. Außerdem mache sich jeder strafbar, der vom Anschaffen profitiert, vom Vermieter bis zum Taxifahrer.

Polizei: Früher unhaltbare Zustände

"Früher war nichts in der Linienstraße geregelt", erinnert sich Dirk Becker, der seit 27 Jahren im Polizei-Kommissariat 22 tätig ist, zurück, "früher waren das unhaltbare Zustände, 24 Bordelle wurden illegal betrieben. Da hat jemand Frauen in die Kelleretage gesteckt und die mussten dort arbeiten", berichtet er vom angeblich leichten Gewerbe. Mit dem Ziel, den Prostituierten zu helfen, sie aus der Schmuddelecke und der Anonymität herauszuholen, wurden in Dortmund alle Beteiligten an den runden Tisch geholt. Nach dem "Dortmunder Modell" wurden gemeinsam Regelungen geschaffen, Prostituierte mussten gültige Ausweispapiere vorweisen, meldeten ein Gewerbe an.

Dortmunder Modell geschaffen

Heute gebe es nur noch acht große Bordelle in Dortmund und alle, die nicht vernünftig betrieben wurden, seien verschwunden. "Natürlich bin ich nicht blauäugig", sagt Becker, "natürlich gibt es auch Opfer von Menschenhandel in der Prostitution. Aber wir sprechen mit den Frauen und kümmern uns und wir sind sehr erfolgreich gewesen."
Dass heute hier nicht mehr so viele Frauen Opfer von Menschenhandel sind, glaubt auch CDU-Ratsherr Thorsten Hoffmann, Polizeibeauftragter des Landeskabinetts:"Wie kann man es verbieten wollen, wenn doch der Bedarf da ist?", fragt er. Und wenn alles wieder in die Illegalität abrutsche, könne nichts mehr kontrolliert werden, gibt Ordnungsdezernent Norbert Dahmen zu bedenken.

Prostitution findet trotzdem statt

Dortmund ist kein Hotspot für Prostitution, stellt Mitternachtsmission-Leiterin Andrea Hitzke klar, "aber hier gibt es Hilfen." Und Sozialarbeiterin Vorhauer fügt hinzu: "Das Problem ist, und das sehen wir jetzt beim Verbot: Prostitution findet ja trotzdem statt." CDU-Politiker, wie OB-Kandidat Andreas Hollstein, Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel, MdL Christos Katzidis, Ratsherr Thorsten Hoffmann und Ordnungsdezernent Norbert Dahmen diskutierten im Keuning-Haus mit Mitarbeiterinnen der Mitternachtsmission, fünf Prostituierten, die in der Linienstraße derzeit nicht arbeiten dürfen und einem Bordell-Betreiber über das Prostititionsschutzgesetz und das nordische Modell.

Opfer von Menschenhandel

"Das nordische Modell würde zu Bedingungen führen, die Prostituierte in die Illegalität drängt, wo sie eher Opfer von Menschenhandel und Gewalt werden",lehnt Silvia Vorhauer, die bei der Mitternachtsmission die aufsuchende Arbeit in der Clubs koordiniert, ab. Nordirland nennt sie als Beispiel.

Dortmunder Mitternachtsmission

  •  Die Mitarbeiter gehen auf den Strich und in Bordelle, um Frauen, die in der Prostitution arbeiten, zu helfen, ein gesundes, selbstbestimmtes, und eingenverantwortliches Leben zu führen und um Kinder und Jugendliche in der Prostitution nicht sich selbst zu überlassen.
  •  Rund 1000 Frauen und auch einige Männer kommen zur Beratung der Mitternachtsmission.
  •  Nach Schätzung der Mitarbeiterinnen arbeiten über das Jahr verteilt rund 2000 Prostituierte regelmäßig in Dortmund. In den 16 Bordellen der Linienstraße arbeiten sonst rund 160 Frauen.
  • Die Gründe als Prostituierte zu arbeiten, sind laut Mitternachtsmission so vielfältig wie die Prostituierten: Dazu zählen Frauen, die eine gewissen Lebensstandard erreicht haben, Frauen aus prekären Verhältnissen, Drogenabhängige, die keine kriminelle Handlung begehen wollen, um Geld zu beschaffen und Frauen, die sonst keine Möglichkeit haben, so viel oder überhaupt Geld zu verdienen.
  •  Als Fachstelle für NRW betreut die Mission auch Opfer von Menschenhandel, die dies jedoch nicht in Dortmund wurden.
Autor:

Antje Geiß aus Dortmund-City

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