Interview mit Pianist Alexander Krichel - Konzert am 20.+21.02.2018

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Im 5. Philharmonischen Konzert “klang_rausch” am 20.+21.02.2018 freuen sich die Dortmunder Philharmoniker auf Solist Alexander Krichel mit dem 4. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow. Vorab durfte Dramaturg Malte Wasem den jungen und sympathischen Künstler im Interview schon etwas besser kennenlernen…

Malte Wasem: Lieber Herr Krichel, im nächsten Philharmonischen Konzert spielen Sie Rachmaninows 4. Klavierkonzert. Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit diesem Werk erinnern?

Alexander Krichel:
Sehr genau sogar! Ich war im jungen Teenager-Alter, ungefähr 13 oder 14 Jahre alt, und saß im Auto. Im Radio lief das Finale des vierten Klavierkonzertes, das ich vorher noch nie gehört hatte. Ich erinnere mich an mehrere Gänsehaut-Momente, die mich völlig wahnsinnig gemacht haben. Wir mussten nach unserer Ankunft – es war keine lange Strecke – stehenbleiben, bis es zu Ende war und der Radiomoderator uns sagte, was es war.

Und, waren Sie überrascht?

Ich war völlig schockiert! Ein Werk von Rachmaninow, das ich noch nicht kannte. Meiner damaligen Ansicht nach hatte Rachmaninow neben der Paganini-Rhapsodie nur zwei weitere Konzerte für Klavier und Orchester komponiert – Achtung, jetzt wird es peinlich: das zweite und das dritte. Und so ein Gedankengang von jemandem, der im gleichen Jahr Jungstudent für Mathematik wurde…

Sein 4. Klavierkonzert hatte Rachmaninow ursprünglich sehr viel umfangreicher geplant. Dann kürzte er das Werk stark ein. Merkt man dass der Musik an, oder hat das noch diesen typischen, fließenden Rachmaninow-Sound?

Rachmaninow hat bei dem vierten Klavierkonzert sehr viel verändert, immer und immer wieder. Er selbst hat es ja auch mehrere Male gespielt und war immer wieder unzufrieden. Vermutlich auch, weil es aus Skizzen entstanden ist, was von der Idee her zunächst nicht die authentischste Art ist, zu komponieren.

Aber es ist dennoch echter Rachmaninow?

Ja! Es war gerade die musikalische Dichte, der Ideenreichtum, und parallel dazu diese unaufhörlichen, wie Sie sagen, „fließenden” Rachmaninow-Phrasen, die bis ins Unendliche gehen. Die Kombination daraus wollte Rachmaninow in diesem Konzert erreichen, weshalb all die Kürzungen passiert sind. Es stimmt zwar, dass die Themen im vierten Konzert klarer abgegrenzt sind als bei den anderen Konzerten, wodurch es auf eine bestimmte Art in der Form klarer wird. Ich würde aber nicht sagen, dass es dadurch primitiver oder einfacher ist. Es ist einfach nur anders.

Die beiden Rahmensätze bilden unglaublich viele verschiedene musikalische Stimmungsbilder ab: Lyrische Streicher-Passagen und virtuose Klavier-Kaskaden, manchmal fühlt man sich auch an die Stummfilm- und die Jazz-Musik der Zeit erinnert.

Absolut! Mal fühlt es sich sehr an wie Jazz-Musik, vor allem der zweite Satz mit seiner Harmonik und Rhythmik. Man muss immer bei Rachmaninow bedenken, dass er auf der einen Seite ein sehr sensibler Mensch war, dessen Stimmungen stark in beide Richtungen ausschwenken konnten. Außerdem war er aber auch sehr intelligent, reflektiert und wusste genau, dass er mit seinem Stil „falsch in seiner Zeit” war. Parallel zu ihm haben Komponisten wie Schönberg, Bartók und Hindemith komponiert. Obwohl er sich selbst treu geblieben ist, hat er diese Entwicklungen natürlich auch mitbekommen und war gerade bei diesem, seinem vierten Konzert, in gewisser Weise auf der Suche nach einem neuen Ich oder der neuen Richtung seiner Entwicklung.

Bei seiner Premiere kam diese neue Richtung kaum gut an. Woran könnte das gelegen haben?

Man muss Rachmaninow immer im Kontext seiner Zeitgenossen sehen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Komponisten wie Debussy oder Rachmaninow als konservativ angesehen. Die Art ihrer kompositorisch-biographischen Entwicklung war etwas, das in der damaligen Zeit als Bremse abgetan wurde. Vor allem im Vergleich mit anderen Komponisten, deren Philosophie mehr dem Zeitgeist entsprach. Außerdem war Rachmaninow selbst mit seinem ersten Entwurf unzufrieden. Trotz der Bestätigung, die ihm Freunde gaben, war er sich bereits vor der Premiere unsicher, ob er an einigen Stellen das Werk kürzen sollte.

Schlechte Voraussetzungen, wenn der Komponist selbst auch der Solist ist.

Man könnte sich fragen, ob das Ganze nicht eine selbsterfüllende Prophezeiung war. Ein Solist, der von der Kritik als zu konservativ gesehen wird, und seine eigene Komposition aufführt, von der er aber selbst nicht wirklich überzeugt ist: Welche Energie mag Rachmaninow da auf der Bühne wohl ausgestrahlt haben?

Das vierte ist dann auch bis heute unbekannter als das zweite und das dritte Klavierkonzert. Warum?

Als Pianist, Musiker und großer Rachmaninow-Fan muss ich sagen, dass ich diese Frage nur schwer beantworten kann. Ich liebe das zweite Konzert, das ich ja auch aufgenommen habe, sehr. Dieses zweite Konzert hat für mich eine besondere Bedeutung: Es war das letzte Stück, das ich meinem Mentor Vladimir Krainev, der selbst ausgewiesener Rachmaninow-Spezialist war, wenige Stunden vor seinem Tod vorgespielt habe. Dadurch kommt für mich keines der anderen Rachmaninow-Konzerte an diese biographische Bindung heran. Aber ich liebe auch die anderen Konzerte von Rachmaninow und es macht riesigen Spaß, sie zu spielen. Das Vierte ist eine Entdeckung: Auf der einen Seite in den großen, oft stark depressiven Emotionen zu baden, um dann im nächsten Moment in einer riesigen Explosion die phönixartige Wiederauferstehung zu feiern.

Worin besteht bei Rachmaninow eigentlich für Sie die besondere pianistische Herausforderung? Abgesehen davon, dass Sie einfach eine unglaubliche Menge an Noten spielen müssen?

Die Phrasen! Die riesigen, langen Phrasen! Wir Pianisten spielen Klavier, was eigentlich ein Schlagzeug ist. Wir schlagen einen Ton an und er wird sofort leiser. Man kann nicht, wie bei eigentlich fast jedem anderen Instrument, den Ton beeinflussen, während er klingt. Dennoch ist es genau das, was Rachmaninows Musik sehr oft suggeriert. Für mich als Pianist bedeutet das, dass ich im Idealfall in meiner Vorstellung etwas kreiere, das physikalisch nicht möglich ist und das dann an das Publikum weitergebe. Es ist sehr schwer zu erklären, aber kurz gesagt versuche ich die ganze Zeit, das Unmögliche möglich zu machen (lacht).

Sie haben Vladimir Krainev erwähnt, einem wichtigen Lehrer für die russische Klaviermusik. Was haben Sie von ihm über diese Musik gelernt?

Genau dies! Die unendlich lange Phrasenbildung, die Suggestion, die man braucht, um diese wunderschönen lyrischen Passagen wirklich auf dem Flügel zu singen. Und den starken Willen, sich nicht damit zufrieden zu geben, was man auf dem Klavier eigentlich kann, sondern immer das Unmögliche zu versuchen, wie eben beschrieben. Denn nur wenn man das Unmögliche versucht, erreicht man das maximal Mögliche.

Als Gastpianist haben Sie oft nur wenige Proben mit dem Orchester und dem Dirigenten. Was ist dann entscheidend?

Die Energie und die Chemie! Rachmaninow ist rein objektiv im Zusammenspiel, im Vergleich mit anderen Komponisten, sehr kompliziert. Paradoxerweise macht aber gerade diese Komplexität die Musik, wenn man sie natürlich und authentisch angeht, gerade unvergleichbar fließend und einfach. Bei Rachmaninow-Konzerten gilt für mich: Wenn es passt, dann passt es. Man denkt sie nicht zusammen, man fühlt sie zusammen, man genießt und lebt diese Musik mit den anderen Musikern auf der Bühne.

Dann sind alle technischen Herausforderungen egal?

Da ist man dann in einem Tunnel, und es gibt nur eine Richtung: den Fluss. Da ist alle Komplexität vergessen. Manchmal habe ich Begegnungen mit Orchestern und Dirigenten, bei denen ich das Gefühl habe, dass eigentlich der erste Durchlauf schon das Konzert hätte sein können. Und manchmal eben nicht, dann brauchen wir halt noch die Proben (lacht).

VIELEN DANK, wir freuen uns schon sehr auf die beiden Konzerte!

PROGRAMM:

Sergej Rachmaninow (1873—1943)
- „Die Toteninsel“, Sinfonische Dichtung für großes Orchester op. 29
- 4. Klavierkonzert g-Moll op. 40
- Sinfonische Tänze op. 45

Gabriel Feltz, Dirigent
Alexander Krichel, Klavier

…………..

Termine:

20.+21.02.2018, 20 Uhr, Konzerthaus Dortmund, 19.15 Uhr Einführung

Karten kosten zwischen 19 und 42 Euro, erhältlich an der Theaterkasse im Opernhaus, unter Tel: 0231-50 27222 oder HIER

Autor:

Dortmunder Philharmoniker aus Dortmund-City

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