Dortmund im Fadenkreuz
Von Anne Katrin Hüsken. Es ist 20 Uhr 15. Nicht Sonntag, sondern Freitag. Heimatstolz pocht das Herz, während es durch die allerorts mit Fadenkreuzen verzierte Evonik-Lounge des Meisterstadions getragen wird und überglücklich ist, in einem der 1200 Erwählten zu schlagen, die heute Abend hier sein dürfen. Tief im Westen gibt die untergehende Sonne alles, um die Blicke durch die gläserne Front auf sich zu ziehen, doch alles blickt gen Osten, denn hier ist sie aufgebaut: die große Leinwand, auf der bei Eintritt der Dunkelheit der erste Dortmunder Tatort zum allerersten Mal gezeigt werden wird.
Gegen 21.45 Uhr, wenn normalerweise der Tatort-Abspann erklingt, ist es nach diversen Interviews mit lokaler und überregionaler Prominenz, Machern und Darstellern endlich so weit. Die Tränen der lokalpatriotischen Rührung, die sich beim Vorspann den Weg bahnen, sind schnell getrocknet durch eine verwirrende Anfangssequenz, in der eine Sex- und eine Mordszene visuell gekonnt, aber in puncto Verständnis irritierend miteinander verschnitten sind.
Gut, dass danach das kommt, auf das alle warten: Dortmund. Sehr schön als Skyline, vom Dach der Käthe-Kollwitz-Schule aus gesehen. Hier oben steht der Neue: Kriminalhauptkommissar Faber, der hier nicht „den Sittich machen“ will, wie der herbeieilende Hausmeister befürchtet, sondern nur auf den Schulhof seiner Kindheit schauen möchte, weil – wie er später im Film feststellen wird - „die Kindheit manchmal alles ist, was bleibt“.
Dortmund-Bilder, als gäb‘s kein Morgen
So kantig schön der Mann und die Stadt hier eingeführt werden, so befremdlich geht es weiter. Dortmund-Bilder werden in den Film geschnitten, als gäbe es kein Morgen mehr oder keine weiteren Folgen. Da ist das U samt Winkelmann-Installation, die Botta-Bibliothek, Zeche Zollern, das Stadion, der See. Es ist das „neue“ Dortmund, das hier wider das Pott-Klischee ausgespielt wird, doch die häufige und oftmals willkürliche Einbindung der Stadtbilder mutet an wie plumpes Product Placement.
Das Pottklischee, das dann schließlich doch noch gezeigt wird, ist so überzogen (ebenerdig angebauter Taubenschlagverhau in abbruchreifer Weingartenstrasse) dass man sich denkt: So scheiße war‘s selbst hier noch nie.
Aber immerhin fällt hier eines der schönsten Zitate im Film: „Warum lassen einen die Leute nicht in Ruhe, wenn man anders ist? Mich stört doch auch nicht, dass die alle gleich sind.“ Der Taubenvater, einst Inbegriff des einfachen Ruhrgebiets-Menschen, ist zum Relikt geworden, dessen fliegende Kack-Armada die SUV-Armee der Neureichen am Phoenixsee bedroht. So kann man Strukturwandel auch darstellen. Schön!
Vierer-Team hat Zeug sich in die Herzen zu spielen
Doch zurück vom Ort zur Tat. Die wird natürlich aufgeklärt, wobei die Interaktion der Kommissare gefühlt mehr Raum einnimmt als der eigentliche Fall. Kein Wunder, denn im neuen Dortmunder Tatort gilt es, ein Viererteam zu etablieren.
Bei der Wahl der Schauspieler hat man auf den Starbonus verzichtet; es gibt keinen großen Namen als Zugpferd, sondern einfach vier sehr gute Schauspieler, die das Zeug haben, sich in die Herzen der Tatort-Gemeinde zu spielen. Zusammen bilden sie ein Team, das heterogener kaum sein könnte.
Sehr schön und im besten Sinne ruhrgebietlerisch ist der direkte Umgangston, mit dem der neue Leiter der Mordkommission empfangen wird. Schleimen ist nicht, auch Untergebene halten mit ihrer Meinung nicht hinter der Halde.
Die Szenen, in denen Faber (Jörg Hartmann) seine Kollegin Bönisch (großartig: Anna Schudt) zum „Profilern aus Ich-Perspektive“ nötigt, fühlen sich unangenehm pseudoamerikanisch an; dafür machen die drögen Verbalklatschen, die Faber dem jungen Kriminaloberkommissar Kossik (Stefan Konarske) gibt, um so mehr Spaß. Kriminaloberkommissarin Dalay (Aylin Tezel) hat mit Faber in Folge 1 noch nicht viel zu tun, mit Kossik um so mehr, da sie soeben ein Verhältnis mit ihm begonnen hat. Als Deutsch-Türkin, die sich in der Nordstadt engagiert, wird sie vermutlich in der zweiten Folge ihren großen Auftritt haben, die just dort angesiedelt ist.
Ach ja, da war ja noch ganz am Anfang dieser Mord. Der wird natürlich geklärt. Wie, das kann man sich am 23. September ab 20.15 in der ARD anschauen. Vielleicht ist das eh das Beste, was man tun kann, um dem neuen Tatort gerecht zu werden. Couch, Pülleken und Anrufverbot für alle zwischen 20.15 und 21.45 statt Stadion, VIP-Area und Interviews. Dann könnte es mit der Begeisterung klappen - denn eigentlich kann ein Tatort nur im Fernsehen großes Kino sein.
Autor:Antje Geiß aus Dortmund-City |
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