Geschichte
Der Kampf um die Burg Hörde
Mehr als hundert Jahre lang galt die Hörder Burg als ein dem Schlossstil nachempfundenes Machtsymbol der Stahlindustrie. Generationen kannten nur ein rußgeschwärztes Gebäude mit zinnenbekrönter Fassade und dominierendem Turm.
„Die Werkseinfahrt trug den Namen „Burgtor“, ohne dass jemand damit eine ehemals mittelalterliche Funktion verband. Hier hoben und senkten sich unentwegt die Schranken, wenn der Schwerlastverkehr Anker, Stahlbleche und Stahlblöcke zu Kunden transportierte. Bei Schichtwechsel strömten die Arbeiter aus dem Tor. Tausende versammelten sich bei großen Streiks vor der Machtzentrale des Stahlunternehmens, um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen“, so die Erinnerungen des Hörder Heimatforschers Willi Garth. Seine Forschugsarbeiten hat er in einem Aufsatz zusammengefasst, der im„Jahrbuch Westfalen 2014“ erschienen ist und aus dem wir Passagen zitieren. (HG Westfälischer Heimatbund, erschienen im Aschendorff Verlag)
Die eigene „schicksalhafte“ Begegnung mit der Hörder Burg begann für Garth mit seinem Einstellungsgespräch im Jahr 1953. Er ahnte damals noch nicht, das die Burg im Laufe der Jahrzehnte sein Leben prägen würde: „Daran war die eigene Familiengeschichte nicht ganz unschuldig. Großvater Adam Garth war aus dem landwirtschaftlich dominierten Wetterau nach Hörde gekommen und er muss schockiert darüber gewesen sein, was ihn in der Hörder Stahlgießerei erwartete: Lärm, Staub und Hitze. Aber mit dem Lohn konnte man, anders als zuletzt in der dörflichen Heimat, ausreichend Geld verdienen und eine Familie ernähren.“
Am Neuen Clarenberg wurden Garths Vater und dessen Brüder Adam und Willi geboren. Adam wurde Former und arbeitete, wie schon sein Vater, in der Hörder Stahlgießerei. Willi Garths Vater wechselte die Abteilungen und war im Zweiten Weltkrieg Revisor im Panzerbau in der „Asphaltieranlage“. Ein Tarnname für den Rüstungsbetrieb.
Im Turm der Hörder Burg befand sich damals die Hauptkasse. Hier erhielten die Arbeiter an jedem Freitag die Lohntüte. Der Schriftzug „Hauptkasse“ erinnert noch heute an diese Zeit. „Rein gar nichts erinnerte damals an die einstige Funktion des Gebäudes als Rittersitz. Bei der Erforschung der Familiengeschichte fanden sich im damaligen Werksarchiv diverse Belege zu Großvater Garth und nebenbei auch Bauzeichnungen zur spannenden Burggeschichte. All das war damals noch nicht erforscht“, so Garth.
Die Ortschaft Hörde wurde erstmals am 9. August 1198 mit dem Ritter Albert von Hörde in einer Urkunde des Königs und späteren Kaisers Otto IV. erwähnt. Die Herren von Hörde waren im 13. Jahrhundert hochrangige Ministerialen der Kölner Erzbischöfe.
1299 verkaufte Albert von Hörde die Burg an Graf Everhard II. von der Mark. Große Bedeutung für Hörde erlangte Konrad von der Mark. Nach der Heirat mit Elisabeth von Kleve zog das Paar auf die Hörder Burg und 1339 gründeten beide das Hörder Clarissenkloster. Ein Jahr später verlieh Konrad dem Dorf Hörde schließlich die Stadtrechte.
In alten Berichten hieß es immer, die Burg sei bei einem Brand 1673 bis auf die Grundmauern zusammengefallen und erst später wieder aufgebaut worden. Zweifel an dieser Darstellung wurden allerdings dadurch bestätigt, dass das Mauerwerk des Turms noch heute eine Stärke von 1,50 bis 1,70 Metern aufweist.
1840 begann ein neues Zeitalter für das Landstädtchen Hörde. Damals kaufte der Unternehmer Hermann Diedrich Piepenstock die Hörder Burg und 22 Morgen Land für 11.500 Reichstaler, um hier ein Puddel- und Walzwerk zu errichten. Die Burg wurde für lange Zeit der Verwaltungssitz des stark expandierenden Unternehmens. Zwischen 1894 und 1911 erfolgten massive Eingriffe, Um- und Anbauten. Das Unternehmen wollte nach eigenen Angaben den „Schloßstyl“ erhalten. Allein diese Formulierung lässt nicht auf einen kompletten Abbruch schließen.
Nachdem Ende der 1990er die Stilllegung des Hörder Stahlwerkes feststand, wurde die Burg leer gezogen und stand zum Verkauf. Ein „Glücksfall“ ergab sich, als sich im Jahre 2000 Mauerwerk am Turm löste. Das Stahlunternehmen ließ die gesamte Burg einrüsten und mit einer Plane verhüllen. Lose Bauteile wurden entfernt und die Schadstellen neu verputzt.
Willi Garth beobachtete als Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Heimatpflege e. V. Hörde damals die Arbeiten mit Akribie – und entdeckte vom Gerüst aus direkt neben dem Turmerker eine etwa ein Quadratmeter große freigelegte Fläche mit offensichtlich mittelalterlichem Mauerwerk. „Der Beweis der tatsächlich bis heute erhaltenen alten Bausubstanz war damit erbracht. Das war eine kleine Sensation. Ein Investor ließ sich von der Entdeckung inspirieren, witterte eine gute Geldanlage und erwarb schließlich die Burg von dem Stahlunternehmen“, erinnert sich Garth.
2001 nahm eine freie Archäologin im Auftrag des Investors die Forschungsarbeit auf und bat Garth wegen seines „Insiderwissens“ um Unterstützung. Die Grabung brachte zwar interessante Funde hervor, die erwartete unberührte Gräfte wurde leider nicht getroffen. Ein Bombentrichter und alte Ziegelmauerwerke von Industriekanälen ließen manche Hoffnung schwinden. Der untersuchte Burgturm wurde damals als „Motte“ (Turmhügelburg) eingestuft.
Nach Abschluss der Grabung überraschte Garth dann eine Baufirma bei einer unerlaubten Schachtung im geschützten Bereich des vermuteten Bodendenkmals. In etwa sieben Metern Tiefe leuchtete Perlmutt von Teichmuscheln hervor. Mit anderen Worten: Der Bagger hatte den unberührten Gräftenboden getroffen. Nach Rücksprache mit der Denkmalbehörde wurde die Baustelle stillgelegt. Geborgene Streufunde erwiesen sich als kleine Sensation. Die Archäologen datierten einige Gefäßscherben ins 13. Jahrhundert und damit in die Zeit Alberts von Hörde.
Im Jahr 2002 richtete der Hörder Heimatverein Museumsräume im westlichen Burgflügel ein. Diese neue Aufgabe in der historischen Umgebung erleichterte den ständigen Zugang zu den Burgräumen.
Für die Renaturierung des Hörder Baches musste ein neues Bett östlich der Burg geschaffen werden. Obwohl die 160-jährige Nutzung des Areals durch die Stahlindustrie eigentlich wenig Hoffnung auf unberührtes Terrain aufkommen ließ, gingen die Archäologen sehr behutsam vor. In den Jahren 2007 und 2008 wurde eine gewaltige Fläche von über 3.000 Quadratmetern bis in vier Meter Tiefe ausgehoben und erforscht. Bis zu 20 Mitarbeiter hatte die Denkmalbehörde im Einsatz. In Fluchtrichtung auf den Burgturm konnten schließlich Gebäudereste freigelegt werden, die einen ursprünglichen Zusammenhang dieser Gebäude belegen.
Ein erst kurz vor Beginn der Grabung entdeckter Plan der Burg von 1696, der sich auf ein Original von 1622 bezieht, erwies sich als wichtiges Dokument. Eine darin angedeutete „Capell“ weckte das besondere Interesse des Grabungsleiters Dr. Dieter Lammers. Ihm gelang es, die Genehmigung auf die Freilegung der Kapellenapsis auszuweiten. Die Begeisterung der Archäologen war ansteckend. Man fiebert mit, wenn ein sensationeller Fund ans Tageslicht kommt. Das Prunkstück ist ein goldener Fingerring aus dem 13. Jh., verziert mit einem Granatstein. An drei Stellen sind im Ring zwei ineinander greifende Hände eingearbeitet. Ein seltener Fund ist ein Ortband aus Bronze. Diese verzierte Metallhülse bedeckte das Ende der Schwertscheide.
Das sumpfige Gelände und der sauerstoffarme, schlammige Gräftenbereich hatten organische Stoffe über 800 Jahre lang konserviert. So konnten die Archäologen als Besonderheit mehrere komplette Lederschuhe bergen. Auch Holzlöffel und Riegel waren ebenso unversehrt erhalten. Tierknochen fanden sich reichlich, und gut erhaltene Tonkrüge enthielten Getreidereste.
„Nach Abschluss der Grabung war fest geplant, eine markante Gebäudecke zugunsten des geplanten Bachlaufs abzubrechen und die gesamten beeindruckenden Gebäudereste zu verfüllen, um hier den großen Hafenplatz zu gestalten. Das Unverständnis in der Bevölkerung für den Plan spornte die örtlichen Heimathistoriker an, energisch gegen diese Maßnahme vorzugehen. Ein Termin, zusammen mit der Dortmunder Stadtarchäologin Dr. Henriette Brink-Kloke bei dem damaligen Planungsdezernenten und heutigen Oberbürgermeister Ullrich Sierau, schien zunächst wenig Erfolg zu versprechen“, erinnert sich Garth.
Hartnäckigen Verhandlungen folgte eine gemeinsame Besichtigung der Grabung. Angesichts der beeindruckenden Zeitzeugnisse war es vor Ort leichter, die Argumente zur sichtbaren Erhaltung der Grabung zu untermauern. So entstand durch die Hartnäckigkeit einer Bürgerinitiative ein Freiluftmuseum als besondere Attraktion am Ufer des Phoenixsees. Das neue Bett des Hörder Baches wurde durch eine elegant geschwungene massive Stahlplatte von den historischen Burgresten abgetrennt. Ein wirksamer Hochwasserschutz.
Bei der weiteren Schachtung für das neue Bachbett trat unvermutet eine massive Bruchsteinmauer am Fuß der Burg zu Tage. Da der Zeitdruck enorm war, konnte nur eine verkürzte Forschungsphase eingelegt werden. Dann musste die Mauer fallen. Sie war nach jetzigem Forschungsstand der Beleg für einen ganz anderen Grundriss der kompletten alten Burg als bisher angenommen. Die Erforschung in Etappen, auch bedingt durch nur sporadisch verfügbare Finanzmittel, bewirkt ein ständiges Revidieren der bisher gewonnenen Erkenntnisse.
Die archäologischen, baugeschichtlichen und historischen Forschungen werden vermutlich noch Jahre beanspruchen. Die bisherige Einordnung des Burgturms als Wohnturm, auch gefördert durch die freigelegten offenen Kamine, musste bereits korrigiert werden. Schon das überlieferte Hörder Stadtwappen zeigt im Turm eine große Durchfahrt. Das Wappen geht auf einen Siegelabdruck von 1450 zurück. Die Grabung von 2001 legte dagegen eine gemauerte, brückenartige Zufahrt frei, die rechts vom Turm direkt vor dem heutigen Eingang mündet. In dem Plan von 1622/1696 führt diese Zufahrt als geständerte Holzbrücke durch die breite Gräfte. Später wurde diese Zufahrt durch einem massiven Sandsteindamm ersetzt. Ein Teil dieses Fahrweges ist heute noch sichtbar.
Die Torturm-Theorie bestätigten im Jahr 2008 bauhistorische Untersuchungen von Dr. Reinhold Schneider und Dr. Thomas Spohn. Weitere Erkenntnisse lieferten mehrere Blockseminare des Historischen Instituts der TU Dortmund. Erik Beck und Martin Strotz nahmen dabei zusammen mit neun Studierenden vornehmlich bauhistorische Untersuchungen im ersten Obergeschoss des Turms vor.
Die Stadt Dortmund war ab 2007 Eigentümer. Nach der großen Dach- und Fachsanierung sollte die Burg veräußert werden. Das Heimatmuseum, das der Hörder Heimatverein seit 2002 im Westflügel der Burg erfolgreich betreibt, konnte mit der Zeit auf fünf Räume im Erdgeschoss der Burg erweitert werden.
Als die Firma Dreier die Burg erwarb, begann der komplette Umbau zugunsten der Sparkassenakademie NRW, die die Burg ab 2017 beziehen konnte. Die Burgräume musste der Heimatverein kurzfristig frei machen und sich auf Räume im Westflügel beschränken. Zusammen mit der Aufarbeitung der Hörder Braugeschichte, der 160-jährigen Hörder Stahlgeschichte und der Hörder Bergbautradition kann sich der Besucher über die spannende Geschichte der Burg und des Ortes Hörde vom Mittelalter bis heute informieren lassen. Ideal ist die Nähe des Bodendenkmals im Burghof. Der Heimatverein leistet in und an der Burg mehr als 100 Gruppen-Führungen jährlich.
Autor:Lokalkompass Dortmund-City aus Dortmund-City |
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