4. Mai 2022: Deutscher "Erdüberlastungstag"
Treibt ignorante Kommunalpolitik ihre „Flächengier“ im nördlichen Ruhrgebiet auf die Spitze?

Foto: WWF 

Am heutigen 4. Mai hat Deutschland seine ökologischen Ressourcen für das Jahr 2022 bereits aufgebraucht, so haben Umweltschützer anlässlich des „Erdüberlastungstages“ berechnet. Am 2. Mai hatten die Vereinten Nationen zudem die Wichtigkeit der Wälder und ihre Wiederaufforstung und Nachhaltigkeit betont. Und am 27. April hatte die UN-Klimaschutz- und Artenschutzkonvention ihren Bericht vorgelegt, wonach 40% der Landfläche der Erde geschädigt ist: Der Erde gehen die Böden aus, die Zahl der Arten nimmt rapide ab und auch wertvolle landwirtschaftliche Böden gehen verloren. Allein im Ruhrgebiet verschwanden im letzten Jahrzehnt 20.000 ha Vegetationsflächen als schrumpfender Lebensraum für Tiere und Pflanzen. „Doch ein weiter so ist kein gangbarer Weg für unser weiteres Überleben und unseren Wohlstand“, so heißt es im UN-Bericht, denn der Flächenverlust ist nicht kompensierbar und Fläche als Ressource nicht vermehrbar.

Im nördlichen Ruhrgebiet sind 40% der Flächen zugebaut

Das hält die Kommunalpolitiker im zersiedelten nördlichen Ruhrgebiet in ihrem „biologischen Analphabetentum“ derzeit nicht davon ab, aktuell noch weiteren Landschaftverbrauch für neue Wohn- und Gewerbegebiete im neuen Regionalplan des Regionalverbandes Ruhr aggressiv einzufordern, obwohl dort zum Leidwesen der Naturschutzverbände bereits unverträgliche 9.000 ha für neue Flächenversiegelungen eingeplant sind. Der Flächenverbrauch ist hier doppelt so hoch wie in NRW. In der Emscher-Lippe-Region sind bereits 40% der Flächen zugebaut und versiegelt für Wohnen, Verkehr und Gewerbe.

Landtagswahl: Appelle zum sparsamen Flächenverbrauch verhallen ungehört

Die Appelle der Bundesbauministerin und des NRW-Umweltministeriums zur Senkung des Flächenverbrauchs werden ebenso ignoriert wie sämtliche flächenschonenden Nachhaltigkeitsziele in der Raumordnung und Gesetzgebung. Die Städte gefährden mit ihren flächenverschwendenden statt flächensparenden Siedlungsplänen ihre eigene Zukunftsfähigkeit und unsere Lebensgrundlagen, obwohl die Beschaffung von bezahlbarem Wohnraum auch flächenneutral geht und vorhandene Gewerbeflächen effizienter genutzt werden könnten. Im gegenwärtigen Landtagswahlkampf ist die Flächenproblematik in NRW so gut wie kein Thema, obwohl sie mehr als andere Themen über eine lebenswerte Zukunft in unserem Land entscheidet. Aber welcher Landtagskandidat möchte schon seiner kommunalpolitischen Basis unbequem werden?

Kreis und Städte auf Kriegspfad gegen den Regionalverband

Am 2. Mai lautete die Schlagzeile in den lokalen und regionalen Medien: „Kreis und Städte gegen Regionalplan. Fehde um die Flächen?“ Insbesondere die Lippe-Städte Dorsten, Marl und Haltern setzen sich hier an die Spitze mit ihren Forderungen, die ohnehin schon überzogenen Wohn- und Gewerbeflächen noch auszuweiten statt zu beschränken, trotz absehbaren Bevölkerungsrückgangs. Von dem eigentlich für den Landschafts- und Naturschutz zuständigen Kreis Recklinghausen und dessen Landrat werden die Städte hierbei unterstützt.

Denn schon als Halterner Bürgermeister hatte sich der jetzige Landrat mit ständigen Forderungen nach mehr Flächenausweisungen für seine Stadt im Regionalplan profiliert, flankiert vom damaligen Vorsitzenden des Regionalparlaments beim Regionalverband Ruhr. Nach dem betriebenen Rauswurf des damaligen Regionalplaners, der den Flächenschutz sehr ernst nahm, richtet sich nun der kommunalpolitische Unmut gegen den neuen Regionalplaner, von dem man sich Zugeständnisse für großzügigeren Flächenverbrauch erhofft hatte.

Städte sind „auf Krawall gebürstet“

Nun ist man auf Krawall gebürstet gegenüber dem gesetzestreuen Regionalverband und droht ihm gar mit Verfassungsklage. Von der vorher zuständigen Regionalplanungsbehörde, der Bezirksregierung Münster, war man in den Regional- und Gebietsentwicklungsplänen jahrzehntelang verwöhnt worden mit großzügigen Vorratsflächen für utopische Bevölkerungszielzahlen und Wohnflächenansprüche – mit dem Ergebnis, dass das südliche Münsterland nachweislich zum größten „Flächensünder“ landesweit wurde, mit dem Segen der Bezirksregierung.

In 63 Jahren „Flächengier“ nichts dazugelernt?

Offensichtlich hat man kommunalpolitisch in den letzten 63 Jahren in punkto Ökologie und Nachhaltigkeit nichts dazugelernt, obwohl die Natur, das Klima und der Artenschutz seither in lebensbedrohlichem Zustand sind. In der besonders flächenverbrauchenden Stadt Marl hatte schon 1959 auf einer dortigen Werkbund-Tagung der bekannte Berliner Professor Walter Rossow die "Landzerstörung und Bodengierigkeit“ angeprangert wegen der schon damals akuten Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen Erde, Wasser, Land und Luft sowie der Vegetation. Wörtlich mahnte er: „Die Landschaft muss das Gesetz werden. Für Architektur, Stadtplanung und Landesgesetzgebung.“

Weiter so mit Fake News und Irrationalität?

Doch trotz wohlfeiler Formulierungen in den Landesgesetzen gilt in Wirklichkeit vor Ort das „Weiter so“. Die biologische Vielfalt steht ebenso vor dem Kollaps wie das Klima und die Lebensqualität in den Städten. In der Kommunalpolitik wird weiterhin mit zweifelhaften Bedarfsprognosen von notwendigem „Siedlungsflächenwachstum“ schwadroniert und Stadtentwicklung wird quantitativ statt qualitativ betrachtet. Es ist dramatisch und unverzeihlich, wenn in der Raumplanung statt mit Fakten und Rationalität mit Fake News und Irrationalität vorgegangen wird – wie z.B. beim irrationalen Konkurrenzkampf der Nachbarstädte um die meisten Flächen und Einwohner als landschaftsschädigendes Nullsummenspiel zur Steigerung der politischen Potenz der „Stadtväter“, die sich in punkto Landschaftsschutz eher als „Stiefväter“ erweisen. Das geht nicht noch einmal 63 Jahre gut, denn längst stehen wir vor dem Kipp-Punkt…

Wilhelm Neurohr, 4. Mai 2022

Siehe hierzu auch vorherige Beiträge im Lokalkompass:


https://www.lokalkompass.de/dorsten/c-politik/regionalplanerische-zielvorgabe-fuer-haltern-am-see-einwohnerrueckgang-und-kein-siedlungsflaechenwachstum_a1685647

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/bundesbauministerin-plaediert-fuer-senkung-von-flaechenverbrauch-fuer-einfamilienhaeuser_a1717888

https://www.lokalkompass.de/marl/c-politik/stadt-marl-und-regionalverband-ruhr-mit-gegensaetzlichen-vorstellungen-von-nachhaltiger-stadtentwicklung_a1714261

https://www.lokalkompass.de/dorsten/c-politik/der-dorstener-baulandskandal-entpuppt-sich-als-skandaloeses-verhalten-der-kommunalpolitiker_a1711564

https://www.lokalkompass.de/dorsten/c-politik/regionalplanerische-zielvorgabe-fuer-haltern-am-see-einwohnerrueckgang-und-kein-siedlungsflaechenwachstum_a1685647

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/das-ende-der-flaechenzehrenden-eigenheimpolitik-im-zersiedelten-ruhrgebiet_a1682653

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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