Ein dunkles Kapitel der Geschichte

Das Haus Berta war ein Fluchtpunkt: Vom Freudenberg aus wurden jüdische Kinder nach Holland in Sicherheit gebracht.
  • Das Haus Berta war ein Fluchtpunkt: Vom Freudenberg aus wurden jüdische Kinder nach Holland in Sicherheit gebracht.
  • hochgeladen von Jo Gernoth

Dorsten/Schermbeck. Es ist ein Kapitel Zeitgeschichte, an das sich niemand mehr so recht erinnert. Es hat zudem den Anschein, als ob auch niemand über dieses Vergessen so richtig böse ist. Die Rede ist vom Haus Berta. Was war das, was verbirgt sich hinter diesem zunächst einmal so gemütlich klingendem Namen? Nun, es ist ein Kapitel der schrecklichen Verfolgung jüdischer Menschen, wenngleich es auch ein etwas anderer Verlauf ist, der das Schicksal dieses Hauses kennzeichnet.

Als der Nationalsozialismus mit seiner hässlichen braunen Pranke in das friedliche Leben der jüdischen Gemeinden in Deutschland schlug, gab es zunächst tatsächlich so etwas wie jüdischen Protest. Und der kam ganz massiv und wesentlich aus einer politischen Richtung, die den Juden in Deutschland heute zumindest etwas peinlich ist: Es waren deutsch-nationale Juden, die sich als ehemalige Kriegsteilnehmer dem Reichsbund Jüdischer Frontkämpfer (RJF) angeschlossen hatten.

Diese sehr einflussreiche Organisation, die sehr eng mit den Jüdischen Turn- und Sportverbänden zusammenarbeitete, war 1922 durch einen Hauptmann Leo Löwenstein gegründet worden und machte mit recht markigen Sprüchen und Hurra-Patriotismus gegen die Dolchstoßlegende der Nazis Front, die unter anderem behauptete, dass jüdische Soldaten sich feige vor ihrer Dienstpflicht gedrückt hätten. Rund 12 000 jüdische Soldaten waren im ersten Weltkrieg gefallen und rund 80 000, meist Freiwillige, hatten Dienst getan.

Dieser Verband hatte im Jahre 1934 eine unbewohnte Baracke am Freudenberg erworben, die einmal von Waldarbeitern während der Aufforstung der Erler Heide genutzt wurde. Sie lag ziemlich genau dort, wo heute die A31 die B58 unterquert. Ein Grund dafür, dass es heute keine sichtbaren Spuren des Hauses Berta mehr gibt.

In Windeseile hatten die ehemaligen Frontsoldaten die Baracke zu einem Ferienheim für Kinder und Jugendliche umgebaut. Bereits 1934 war es jüdischen Menschen verboten worden, Jugendherbergen aufzusuchen. So strömten dann bis zu 600 jüdische Kinder und Jugendliche aus dem Ruhrgebiet, Köln, Mainz und Hessen zum Freudenberg und erlebten dort unbeschwerte Sommerfrische.

Ganz nebenbei wurde von den weitsichtigen Verantwortlichen des RJF eine "Umschichtungsschulung" betrieben. Im Klartext bedeutete dies nichts anderes als die Vorbereitung auf eine Emigration ins Ausland. Es ist nicht überliefert, ob über die Bahnlinie Winterswyk/Amsterdam Ausreisen durchgeführt wurden. Es gilt aber als sehr wahrscheinlich, denn die ehemaligen Frontsoldaten hatten bis Ende 1937 einige Privilegien und hatten es bei der Erteilung von Ausreisegenehmigungen sehr viel leichter als ihre Glaubensbrüder und Schwestern.

Bis Ende 1937 konnten der RJF das Haus Berta nutzen. Dann schlug die Gestapo während eines Schabbat-Gottesdienstes zu und verhängte ein Nutzungsverbot für das Haus Berta. Trotz aller Proteste blieb das Haus geschlossen. In der Pogromnacht wurde es von Unbekannten angezündet und nie wieder aufgebaut.

Autor:

Jo Gernoth aus Dorsten

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