Abenteuerspielplatz der Nationen
Es gibt Orte, an denen können wir zivilisierten Couch-Potatoes noch echte Abenteuer erleben: Das Straßenverkehrsamt. Alle Nationen dieser Erde eint dort der Versuch, ein Vehikel mit Schildern zu versehen oder, wie in meinem Fall, abzumelden.
Die ganze Nummer erinnert an eine tragische Oper: Im ersten Akt laufen die Protagonisten auf. Die Verzweifelten zuerst. Das sind jene, die mit Papieren, schmuddligen Schildern und ganz viel Hoffnung und Geduld in langer Reihe vor dem Check-In-Schalter stehen. Dort thront die Matrone: Eine Dame mittleren Alters und barocker Figur herrscht dort mit jener Aura, die seit Kaisers Zeiten das Vorurteil gegen Beamte nährt. Die Sonnenbrille im Haar erscheint wie eine Pickelhaube und das Wort „Bitte“ kennt sie nicht.
Ohne Gnade wird selektiert: Personalausweis, Meldekarte, Doppelkarte, KFZ-Brief, TÜV-Bericht, ASU-Untersuchungszertifikat werden misstrauisch beäugt. Lohn der Angst: Eine Nummer, die zum Warten berechtigt.
In diesem Nirwarna der Wartenden wirbt eine Frau für einen Autoclub und es scheint, als ob sie ihr Tun in einem viel älteren Gewerbe erlernt hätte. Neben mir sitzt ein Herr und verspeist geräuschvoll ein Mettbrötchen. Mit Zwiebeln, versteht sich. Er sucht das Gespräch und berichtet von der Pein, die er erfahren musste. An mir rauscht das Gespräch vorbei, denn ich beobachte das Treiben.
Der zweite Akt der Tragödie bahnt sich an: Digital werden die Nummern an den Tisch der Sachbearbeiter befohlen. Dort herrscht der Sachbearbeiter, der Erfüllungsgehilfe der Mächtigen. Klar, dass er zunächst einmal die Unterlagen prüft. Matrone ist gut, Kontrolle ist besser.
Der mit dem Mettbrötchen erscheint mit Unterlagen und einem weiteren Brötchen in der Hand. Ein Ordnungsruf verdirbt ihm den Appetit. Mir hilft sein respektloses Verhalten, denn mein Sachbearbeiter schüttelt den Kopf. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, ihm Zustimmung zu seiner Law and Order-Einlassung zu signalisieren, um mein Anliegen schneller erledigen zu können. Nein, es gilt Zivilcourage zu wahren. Va', pensiero, sull'ali dorate..flieg Gedanke. Jetzt wird’s psychologisch: Ich frage, ob ich mein Kennzeichen zu meinem neuen, alten Auto zuordnen kann. Ja, das geht, kostet aber. Eine Überschlagsrechnung ergibt, dass neue Nummernschilder preiswerter sind, als der Verwaltungsakt, um die alten weiter zu Nutzen. Weißblech ist ein grenzenlos verfügbarer Rohstoff. Ebenso wie die Fähigkeit eines preußischen Beamten, sich ganz auf sich und seine Mission zu konzentrieren, eine grenzenlos verfügbare Materie zu sein scheint. Der Mann, dessen Herausforderung das sachgerechte Aufkleben der Plaketten auf Schilder ist, geht zum Frühstück und es spricht für seine Zuverlässigkeit, dass er die Charakterstärke aufbringt, die lange Schlange der Verzweifelten dabei zu ignorieren. Regelmäßiges Essen hält den Körper fit. Gesunder Geist in gesundem Körper. Hinter mir riecht es nach Zwiebel: Der Mettbrötchen-Mann steht hinter mir. Mit einem Käsebrötchen.
Die Autoclubwerberin hat ein Opfer gefunden und füllt einen Vertrag aus. Zwei Arabische Männer diskutieren gestenreich in Landessprache. Vorhang und Ende der Tragödie erster Teil: Ich habe meine Papiere und werde das Wochenende nutzen, um mich mit buddhistischen Weisheiten auseinanderzusetzen. Sie werden mir helfen, mein nächstes Abenteuer zu bestehen: Am Montag muss ich das andere Auto anmelden. Der wahrhaftige Held erscheint als holder Knabe und was du heute sagst, wirst du morgen sein. Ich glaube, ich wurde geboren um Abenteuer zu bestehen. Übrigens: Auf den britischen Inseln behält ein Auto so lange es existiert sein Kennzeichen und ein neuer Besitzer kann bei der Post ein Letter of Titel erwerben.
Autor:Jo Gernoth aus Dorsten |
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