Dorsten: Buchvorstellung im jüdischen Museum Westfalen
Konspirateure gegen Hitler - auch eine Essener & Ruhrgebietsgeschichte
Buchbesprechung:
Die Konspirateure – Der zivile Widerstand hinter dem 20. Juli 1944
Im Jüdischen Museum Westfalen mit seinem Standort im Dorstener Zentrum konnte am 9. Mai eine spannende Buchvorstellung und Lesung mit den beiden Autor*innen Ludger Fittkau und Marie-Christine Werner stattfinden. Unter den Zuhörern waren nicht nur interessierte Bürger*innen, die neue Tatsachen zum Netzwerk dieses leider fehlgeschlagenen Attentats erfahren wollte.
Spannenderweise gab es im Auditorium auch einige Beteiligte, die aus eigenen Recherchen noch Informationen zu weiteren Akteuren des Aufstandsversuchs beitragen konnten. Ein Hinweis ist hier wahrscheinlich besonders bemerkenswert, dass der Münsteraner Kardinal Clemens August Graf von Galen nicht nur die sogenannte Euthanasie geistig Behinderter durch die Nationalsozialisten öffentlich angeprangert hatte, sondern auch im geheimen Netzwerk der Konspiratuere des 20. Juli eine aktive Rolle spielte.
Seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 und einem Reichskanzler Hitler, der Deutschland jetzt nicht nur mit Hilfe der NSDAP, sondern mit vielen Staatsorganen zügig in eine Diktatur umwandeln konnte, gab es auch Widerstand gegen dieses Unrechtsregime.
Leider waren all die erst öffentlichen, später geheimen, kommunistischen oder auch bürgerlichen Widerstandsgruppen stets weit davon entfernt, zur ernsthaften Bedrohung des braunen Machtapparats zu werden.
Ohne eine intensive Zusammenarbeit zwischen einigen hochrangigen Militärs und einem zivilen Widerstandsnetzwerk war schon nach wenigen Jahren nationalsozialistischer Diktatur kein neues Deutschland mehr denkbar.
Schließlich scheiterten aber insbesondere mit dem fehlgeschlagenen Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 alle Versuche, die faschistische Herrschaft mit eigener Kraft abzuschütteln. Zum Glück überlebten doch immerhin eine ganze Reihe von Persönlichkeiten aus diesen oppositionellen Netzwerken die nachfolgenden NS-Hetzjagdten.
Ein Pool integrer Menschen für das Nachkriegsdeutschland
Nach 1945 erwiesen sich trotz aller Verfolgungen und zeitweiligen Demütigungen gerade diese Menschen als wichtige Stützen, ein neues demokratisches Nachkriegsdeutschland mit zu gestalten. „Die Konspirateure“ beschreibt als historische Untersuchung in diesem Zusammenhang insbesondere die Lebenswege vieler ziviler Widerständler aus dem „Leuchner“ bzw. „Mierendorf Kreis“, deren Kraft sich aus sozialdemokratischen, bzw. gewerkschaftlichen Traditionen speist, die nicht vom NS-System aufgesogen werden konnten.
Bedeutung bürgerlicher Widerstandsgruppen beleuchtet
Mutige Menschen mit ihren antifaschistischen Netzwerken waren zwischen 1933 und 1945 auch in Essen und dem Ruhrgebiet wirksam. Widerstandsgruppen, in originär sozialdemokratischen oder kommunistischen Hintergründen, die sich u.a. in Essen mit Flugblattaktionen gegen das Regime richteten, sind zum Glück bereits detailreich z.B. in Veröffentlichungen wie „Lichter in der Finsternis“ von Dr. Ernst Schmidt dargestellt worden.
Die fast verschüttete Erinnerung an den im ganzen deutschen Reich vernetzten zivilen Widerstand und eine sogar bis in den totalitären Staatsapparat hinein verzweigte Organisation für einen „Putsch“ gegen das Hitler-Regime wird in den „Konspirateuren“ anhand 5 ausführlich dargestellter Lebenswege und fast 40 knapp angerissener Widerstandsbiographien erneuert. In diesem Buch geht es auch um die anstrengende Arbeit, dieses zweite Leben in und gegen die braune Diktatur durfte bis zum Tag X spurenfrei durchhalten zu können. Als Erinnerungskultur nur der mutigen „Soldaten und Offiziere des 20. Juli“ zu gedenken, verfälscht deshaLB das Geschichtsbild deutlich, auch wenn sehr viele von ihnen diesen Widerstand mit dem Leben bezahlen mussten.
Oppositionelle außerhalb des Militärs wie Christian Fries und Siegfried Bode arbeiteten als z.B. als Polizeibeamte im Frankfurter Präsidium. Gustav Kettel wirkte in Essen und auf vielen Geschäftsreisen als erfolgreicher Produzent von Großküchenanlagen. Der vielreisende Medikamentenhersteller Emil Henk konnte bei diversen Hotelaufenthalten oder Gaststättenbesuchen an allen möglichen Bahnhöfen in Deutschland unauffällig am Netzwerk gegen die Diktatur bauen, während es scheinbar um Pharmageschäfte ging.
Wer unerkannt als scheinbar funktionierendes Rädchen des totalitären Staats arbeitete, war als Beamter im Polizeikommissariat in der Lage einzelne Systemgegner*innen nach Denunziationen durch NS-Parteigängern wieder in die Freiheit entlassen.
Gustav Kettel – ein Großküchenanlagenbauer und Hitlergegner
Für den Blick ins Ruhrgebiet ist aber die Doppelexistenz eines Gustav Kettel, alias „Camphausen“ besonders interessant. Der 1903 in Essen geborene Gustav Kettel war dem Regime schon seit der Machtergreifung 1933 als Antifaschist bekannt und hatte deshalb kaum Chancen auf Arbeit in normalen Firmen. Ab 1934 machte er sich notgedrungen als Handelsvertreter für Versicherungen, später auch für Gasgeräte selbständig.
Engagement gegen eine menschenverachtende Diktatur und unternehmerischer Sachverstand sind zum Glück keine ausschließenden Gegensätze. Kettel konnte so auch noch in den letzten Kriegsjahren die Reisen für seine Geschäftsverhandlungen als Kurier des „20 Juli“ nutzten und hätte nach erfolgreichen Hitler-Attentat die wichtige Funktion des Regierungspräsidenten für den Bezirk Düsseldorf übernommen, zu dem ja wesentliche Teile des Ruhrgebiets gehören. Sowohl vor wie nach 1945 war es ihm möglich, mit dem Verkauf von Großküchenanlagen seine bürgerliche Existenz zu behaupten. Darum ist es schade, dass der 1983 verstorbene und in Köln begrabene Gustav Kettel bisher außerhalb kleiner Historikerzirkel völlig vergessen scheint.
Millionen an Kriegstoten hätten noch gerettet werden können
Im Sommer 1944 ist der II. Weltkrieg für das deutsche Reich strategisch bereits verloren. Die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie der Konzentrationslager, Flächenbombardements von Großstädten der Kriegsgegner und Racheaktionen gegen die Zivilbevölkerung und unzureichende Versorgungsrationen durch das deutsche Reich in besetzten Ländern produzieren in diesem dreiviertel Jahr bis Kriegsende im Mai 1945 trotzdem noch Millionen an Kriegsopfern.
Nach dem Scheitern des Putschversuchs gegen die faschistische Hitler-Diktatur konnte das einen „totalen Krieg“ führende nationalsozialistische Deutschland aber erst durch den militärischen Sieg der Alliierten Großbritannien, USA, Frankreich und der damaligen Sowjetunion im Mai 1945 bezwungen werden.
In den Jahren zuvor waren mehrere Versuche fehlgeschlagen, den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler durch ein Attentat zu beseitigen, um damit das gesamte faschistische Herrschaftssystem stürzen zu können. Quasi im Alleingang hatte z. B. kurz nach dem Beginn des 2. Weltkriegs bereits am 9. November 1939 der Handwerker Georg Elster zu den internen NS-Feierlichkeiten mit Adolf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller einen fast geglückten Bombenanschlag vorbereitet. Ohne den Diktator selbst zu beseitigen, auf den persönlich die Soldaten und Offiziere der deutschen Wehrmacht vereidigt wurden, wäre bereits nach wenigen Jahren der nationalsozialistischen Diktatur kein dauerhafter Umsturz mehr denkbar gewesen.
Erst recht wussten das die strategisch ausgebildeten Offiziere, die ihre Karriere z.Teil noch als Soldaten der kaiserlichen Armee Wilhelm des II. begonnen hatten. Das geheime Geflecht für einen Umsturz der Hitler-Diktatur in der jahrelang vom Kriegserfolg verwöhnten Wehrmacht war aber intensiv mit dem zivilen Widerstand verknüpft. Die in der Wehrmacht kämpfenden Offiziere, oft aus altpreußischen Adelsgeschlechtern, stammten nicht alle, aber doch sichtbar häufig aus sehr konservativen Kreisen. Dort herrschte eher kein Staatsideal einer gleichberechtigt, wie sozial verantwortlichen Demokratie. Ein inhumaner Vernichtungskrieg und Massenmord gegen alle Regeln auch klassischen Kriegsrechts verstieß aber eben doch gegen die Moral preußischer ( sehr wohl weiterhin zu hinterfragende) Soldatenehre.
Gedenkkultur ist stets zu erneuern
Noch wird jedes Jahr wird in der Bundesrepublik Deutschland hochoffiziell vor allem an die widerständigen Militärs des 20. Juli 1944 erinnert. Sicherlich: Mit einem erfolgreichen Bombenanschlag auf den obersten Feldherrn der deutschen Wehrmacht, deren Soldaten persönlich auf ihren Führer Reichskanzler Adolf Hitler vereidigt worden waren, wäre das Ende des 2. Weltkriegs in greifbare Nähe gerückt.
Im 75. Jahr nach dem gescheiterten Anschlag auf Adolf Hitler, also nach dem gescheiterten Staatsstreich, dessen Gelingen Deutschland und Europa nach allem Ermessen rund 10 Monate weniger Krieg und Sterben hätte bedeuten können, lohnt sich jedoch ein genauerer Blick darauf, wer neben dem Militärs für das Ende der nationalsozialistischen Diktatur innerhalb des deutschen Reichs aktiv war.
Die vorliegende Buchveröffentlichung über den zivilen Widerstand hinter dem 20. Juli 1944 kann helfen, die Möglichkeiten und gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen zivilem und militärischen Antifaschismus in ein realistischeres Licht zu bringen.
Autoren: Ludger Fittkau und Marie-Christine Werner
Umfang 336 Seiten, Ladenpreis 25 €, 26 Illustrationen
Erschienen im März 2019 ; Verlag: Wbg Theiss; Darmstadt
Am 9. Mai um 19.30 wurde zum Thema mit den Autoren zur Buchvorstellung ins jüdische Museum Dorsten eingeladen. Vielleicht ist es aber trotzdem, die Inhalte dieses Buch auch an einem Essener Veranstaltungsort zu debattieren.
Autor:Walter Wandtke aus Essen-Nord |
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