Die Ära des Wildschweins - von Carlo Grande – Journalist der „La Stampa“ Turin/Italien 08.11.2011

Dem Wildschwein ist es egal, ob warm oder kalt, wenn sich der Hunger einstellt streift es bei jedem Wetter durchs Land. Auch jetzt, wenn Nässe und Schlamm regieren. Es irrt umher und gräbt nach Knollen, Wurzeln, Pilzen, Nüssen und Pflanzenzwiebeln. Das Wildschwein ist zu 90% Vegetarier. Wenn die anderen, die Frösche, Echsen und Kröten, sich längst in der Erde verstecken, die Schnecken sich in ihr Haus zurückziehen und unter Moos und Blättern verkriechen, dann wälzt es sich noch grunzend auf der Erde. Ein gutes Mittel gegen Parasitenbefall. Das Wildschwein ist nachtaktiv, tagsüber verborgen im Busch oder zwischen Bäumen. Das Männchen ein Einzelgänger, die Weibchen streunen in Gruppen mit ihren Nachkommen umher. Das Wildschwein, so haben es viele von Vergil bis Jünger erzählt, ist ein Eindringling. Es war übrigens Bettino Craxis Spitzname. Das Wildschwein vermehrt sich zu viel, wo es durchkommen will, kommt es durch, ob über einen Weg oder einen Garten, es pflügt den Boden. Es hat eine dicke Haut, ist widerspenstig, hat die Karosserie eines Kämpfers. Es kommuniziert mit gutturalen Lauten, grunzen und quieken, hält die Schnauze permanent in den Schmutz und verschließt die Nasenlöcher vor Fremdkörpern. „Guter Schnabel lebt die Hälfte“, sagte meine Großmutter. Die andere Hälfte des Lebens? Ist verloren gegangen. Wir leben im Zeitalter des Wildschweins. Nicht des weißen Wildschweins, das vielen Zivilisationen wie Kelten, Ägyptern, Hindus oder Moslems als Symbol für Weisheit und Reinheit so teuer war. Kultur? Nein, es zählt die Wildschweinerei und die Wildschweinhaftigkeit. Politiker, Fußgänger, Auto- oder Radfahrer, es ist eine Lebenseinstellung. Ich fahre durch, ich fahre über den Bürgersteig, ich fahre Dir über die Füße, ich fahre in umgekehrter Richtung durch die Einbahnstrasse. Alles zählt. Ich muss mein Kind protegieren, es positionieren. Mütter wie Wildschweinbachen greifen Lehrer und Polizisten an. Ich kann eine Hure mieten oder neben einem Flusslauf Häuser bauen. Hauptsache das Geld stimmt. Immer weiter, ohne Bindungen und Verbindlichkeiten. „Lass mich arbeiten, ich arbeite“ Freie Unternehmer, weil die Freiheit der Möglichkeiten existiert. Wenn wir alle so frei sind werden wir auf die Straßen gehen und schießen. Die letzte Konfrontation. Crash.
Wehe dem, der ein Wildschwein stört, wenn es sich im Schlamm wälzt, es drohen blutige Auseinandersetzungen zwischen Artgenossen. Heute ist es so, heute ist der 8. November. Am 8. November 1519 kommt Hernan Cortes nach Technotitlan und wird von König Montezuma wie ein Gott verehrt. Am 8. November 1793 öffnet die Revolutionsregierung in Frankreich den Louvre dem Volk. Heute, im Jahr 2011, ist wieder Zeitalter des Wildschweins, und nicht des Weißens.
Übersetzung Barbara Seppi
Artikel erschienen in der letzten Woche der Berlusconi-Regierung

Autor:

Barbara Seppi aus Dorsten

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