Rückkehr nach 60 Jahren

Raimund Gebauer und Ehefrau Anita gaben sich vor 60 Jahren in Bottrop das Ja-Wort. | Foto: privat
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Sie blicken auf ein bewegtes Leben zurück: Anita und Raimund Gebauer. Vor 60 Jahren, am 3. April 1958, gaben sich die beiden im Bottroper Standesamt das Ja-Wort. Ostermontag reisten sie aus Fürstenwalde an, um den gestrigen Ehrentag vor Ort zu feiern. 

Von Dirk-R. Heuer

Gestern kehrt das Diamant-Paar noch einmal zurück - leider ist der Besuch des Standesamtes wegen der Bauarbeiten nicht möglich. Aber schon vor 60 Jahren war der Weg dorthin nicht ganz so einfach.
Die Geschichte beginnt 1955, als Raimund Gebauer seinem sächsischen Heimatort Zittau den Rücken kehrt. "Ich war ein junger Mann, wollte die Welt sehen und Geld verdienen", erinnert sich der 81-Jährige im Gespräch mit dem Stadtspiegel. Zehn Jahre zuvor sind seine Mutter und seine Geschwister aus ihrem Heimatort, der kurz hinter der Neiße lag und nun zu Polen gehört, ausgewiesen worden. Im benachbarten Zittau findet die Familie eine neue Heimat. Doch allein kann die Mutter die Kinder nicht ernähren, die Jungen beginnen früh, sie zu unterstützen.

Tal der Ahnungslosen

Im sächsischen Tal der Ahnungslosen, wie die Region später heißen wird, sind die Verdienstmöglichkeiten nicht so optimal. Gebauer zieht es nach Westen. In Bottrop beginnt er wenig später als Lehrhauer auf Prosper I/II B.A.2. Ein Jahr später verbringt er seinen ersten Urlaub in Zittau. Dort trifft er in einem Tanzcafe die Thüringerin Anita. Sie ist nach der Hochzeit ihres Bruders noch ein paar Tage in der Stadt geblieben. Es funkt zwischen ihnen. Doch schon wenige Tage später endet der Urlaub für beide - Raimund Gebauer kehrt nach Bottrop zurück, "Freundin" Anita ins thüringische Birkhausen bei Gera. Die Post verdient im folgenden Jahr gut an den beiden Frischverliebten. Damit sie sich beim nächsten Urlaub wiedersehen können, muss Anita nach Sachsen umziehen. Die DDR-Oberen erlaubten Raimund nur die Rückkehr in seine Heimatstadt - Abstecher nach Thüringen sind für ihn tabu. Die Liebe hält und schon wenig später zieht Anita nach Bottrop um und arbeitet als Friseurin im Bottroper Salon Frank. Die beiden wollen heiraten, das Aufgebot ist für den Dezember 1957 bestellt - doch der anvisierte Termin platzt. Raimunds Geburtsurkunde liegt in seinem, nun polnischen Geburtsort. Es dauert vier Monate bis sie endlich eintrifft - "da blieb halt nur der 3. April - ein Donnerstag", erzählt Anita Gebauer lächelnd.

Verschüttet im Bergwerk

Zu diesem Zeitpunkt ist Raimund bereits zweimal verschüttet - einmal kuriert er die Verletzungen im Knappschaftskrankenhaus aus. Kaum verheiratet, muss der junge Ehemann das Ledigenheim in der Braker Straße verlassen. "Damals ziehen dort die ersten Vertriebenen ein", sagt Anita Gebauer. Für die beiden bleibt nur der Umzug in eine alte Holzbaracke am Ende der Straße. "Wir haben versucht, eine Wohnung zu bekommen. Aber die waren damals ja knapp und auf Dauer wollte ich in der Baracke nicht wohnen", fährt sie fort. Das junge Paar verlässt Bottrop und zieht zu ihren Eltern nach Thüringen. Doch mit Nachwuchs Jürgen wird es eng in ihrer Heimat. Die kleine Familie wechselt erneut den Wohnort - es geht nach Zittau zu Raimunds Mutter. Dort angekommen, werden sie Mitglied in einer Wohnungsbaugenossenschaft. Die erstellt Eigentumswohnungen. 1961 ziehen die Gebauers in ihre Wohnung ein. Das Glück währt nicht lange. Am 13. August beginnt der Bau der Mauer. Sie trennt Raimund nun von seinen Brüdern, die in Stuttgart eine neue Heimat gefunden haben. "Damit platzen auch viele Träume", sagt Anita Gebauer. Notgedrungen richtet sich die Familie im Arbeiter- und Bauernstaat ein - nicht einmal Westfernsehen können sie in ihrer Heimat empfangen.

Permanente Befragung der Stasi 

Die Jahre vergehen, aber der Wunsch, die Welt zu sehen, bleibt. 1986 stellt das Paar ihren Ausreiseantrag. Eine folgenschwere Entscheidung, denn nun steht die Stasi permanent bei ihnen auf der Matte. Eine Befragung folgt der anderen - Anita verliert ihren Job als Geschäftsleiterin. Zu Beginn des Jahres 1989 erhalten sie die Ausreisegenehmigung. Die gilt nicht für ihren Sohn und die Enkelkinder. "Die Stasi hat von mir sogar gefordert, mich von meinen Eltern loszusagen", erinnert sich Sohn Jürgen. Er studiert zu diesem Zeitpunkt Elektronik.
"Wir mussten alles aufgeben - auch die Wohnung, wir durften nichts behalten", schildert Anita Gebauer. "12 staatliche Stellen mussten unterschreiben, dass wir schuldenfrei sind", ergänzt ihr Mann. In Stuttgart finden sie eine neue Heimat, fangen noch einmal von vorn an. Raimund arbeitet bei Mercedes und seine Frau bei Hertie. Ein drei viertel Jahr später fällt die Mauer - aber die Gebauers bleiben in Stuttgart. Als ihr dritter Enkel zur Welt und die Familie ihres Sohnes die Unterstützung der Großeltern anfragt, verlassen die beiden Rentner die Schwabenmetropole. Sie ziehen ins beschauliche Fürstenwalde, in ein Haus wenige Meter entfernt vom Sohn.
"Wir zwei haben durchgehalten - es war nicht immer eitel Sonnenschein. Aber wir haben immer einen Weg gefunden", erzählen die beiden mit einem Lächeln im Gesicht. Fit, wie sie sind, freut sich das Diamantpaar, die Stätten ihrer Jugend noch einmal zu betrachten. 

Raimund Gebauer und Ehefrau Anita gaben sich vor 60 Jahren in Bottrop das Ja-Wort. | Foto: privat
Freuen sich darauf, die Stätten ihrer Jugend noch einmal zu erkunden: Anita und Raimund Gebauer. | Foto: Kappi
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Lokalkompass Bottrop aus Bottrop

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