Missbrauch ist nie Vergangenheit

Oft kommen die Täter aus dem nächsten Umfeld der Opfer. Gerade der sexuelle Missbrauch von Menschen, denen die Kinder vertrauen, macht es so schwer, das Geschehen  auszusprechen und zu verarbeiten. | Foto: Pixelio
  • Oft kommen die Täter aus dem nächsten Umfeld der Opfer. Gerade der sexuelle Missbrauch von Menschen, denen die Kinder vertrauen, macht es so schwer, das Geschehen auszusprechen und zu verarbeiten.
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„Mein Leben war ein Trümmerhaufen“, sagt Markus Elstner. Der heute 49-Jährige gehört zu den Opfern, die von dem Bottroper Kaplan Hullermann missbraucht wurden. Der Kirchenmann wurde stillschweigend versetzt, Markus leidet bis heute.

Zehn, zwölf Jahre war er damals, einer der Messdiener der Cyriakus Gemeinde. „Eines Tages sitze ich vor dem Fernseher und plötzlich taucht Hullermann auf dem Bildschirm auf“, erzählt Markus Elstner. „Sofort war alles wieder da.“ So wie ihm geht es sehr vielen Opfern, die in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch ertragen mussten. Ein Bild, eine Schlüsselsituation löst einen „Flashback“ aus. Sei es noch so lange her, das Leiden, die Verletzungen kommen wieder hoch.

„Ich habe 15, 20 Jahre lang Tabletten genommen, um überhaupt schlafen zu können“, erzählt Markus. Jugendpsychiatrie, schwere Depressionen, Sebstmordgedanken, Alkohol, nie eine echte Beziehung, nie ein guter Job. „Ich habe mir daran lange selbst die Schuld gegeben. Es ist wie im Hamsterrad.“
Ähnliche Gefühle kennt auch Andreas Schilling (Name von der Redaktion geändert). „Männerfüße gehören dazu“, zählt er auf, „und ich kann es überhaupt nicht vertragen, wenn mich jemand unerwartet von hinten berührt.“

Von außen betrachtet lief es in seinem Leben rund. Studium, guter Job, genug Geld. Aber Beziehungen? Schwierig. „Ich war immer irgendwie emotionslos.“ Dafür Drogen, immer mehr, Autofahrten im Vollrausch, Exzesse am Rande der Selbstzerstörung, schließlich Gerichtsverfahren, Entfernung aus dem Dienst, Hartz IV. „Ich habe an Selbstmord gedacht. Ich wusste bis vor zwei Jahren nicht, was los war“, erzählt Andreas. Erst in einer Therapie kam ans Licht, dass er als kleiner Junge von einem nahen Verwandten missbraucht wurde, als Teenager widerfuhr es dem Jungen nochmal.

„Ich gehe in Richtung multiple Persönlichkeit“, hat Andreas im Laufe der Zeit erkannt. „Ich justiere mich immer passend zur Situation ein.“ Dieses Verhalten kennen Therapeuten gut. „Das heißt für die Opfer, überleben zu können“, erklärt Doris Wagner vom Verein Gegenwind, der gegen sexuelle Gewalt an Kindern kämpft.

„Dass ich das sehen kann, ist ganz frisch“, fährt Andreas fort. Die Therapie hilft. Das Selbstzerstörerische ist dem Willen gewichen, sein Leben irgendwann in den Griff zu bekommen. „Ich will wieder arbeiten, Musik machen.“
Auch Markus kämpft. Ein Artikel im Stadtpiegel im Jahr 2010 über seinen Peiniger Hullermann gab den Anstoß. Jetzt oder nie. Markus Elstner erstattene Anzeige, ging mit seinem Schicksal an die Öffentlichkeit, gründete eine Selbsthilfegruppe. Einer seiner größten Wünsche ist es, dass die Politik die aktuell geltenden Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch aufhebt. „Man muss den Opfern Zeit lassen.“

Hilfe bietet der Verein Gegenwind, Tel. 02041/20811

Autor:

Judith Schmitz aus Bottrop

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