Freundschaft fürs Leben
Januar 1974 in Deutschland. Grau, dunkel, regnerisch und windig. „Es war so kalt, acht Grad“, erinnert sich Andrew Graham. Besonders kalt für einen 18-Jährigen, der die Temperaturen Australiens gewöhnt ist.
Für ein Jahr war der junge Mann als Austauschschüler vom anderen Ende der Welt nach Bottrop gekommen - Anfang der 70er Jahre keine Selbstverständlichkeit, sondern eher die „exotische Ausnahme“. Das Schmuddelwetter war für Andrew allerdings schnell vergessen. „Ich habe mich sofort zuhause gefühlt“, sagt er im Rückblick. Zuhause war während seines Aufenthaltes in Bottrop die Familie Borgmann. „Zu Ulla und Hans Günter habe ich Vater und Mutter gesagt. Mit meiner Gastschwester Bettina habe ich die Tanzschule besucht.“
Die tiefe Verbundenheit, die bei diesem Aufenthalt entstanden ist, hält bis heute an. Gerade erst war Andrew Graham gemeinsam mit Ehefrau Alleyne und Tochter Julia eine Woche zu Besuch bei seiner deutschen Familie auf Zeit - nicht zum ersten Mal. Die Mütter beider Familien stehen seit fast 40 Jahren in regem Briefkontakt und auch die „Borgmänner“ haben sich schon auf die weite Reise nach Down Under begeben.
Dort wiederum kann Jan Gerd Borgmann nach Erinnerungen suchen, denn während Andrew sein Jugendzimmer in Bottrop bewohnte, war der 16-jährige Borgmann-Sohn ebenfalls für ein Jahr als Austauschschüler zu Gast in Australien. „Ich bin dort allerdings, anders als Andrew, von einer Familie zur nächsten weitergereicht worden“, erzählt der Bottroper. Organisiert wurden diese Auslandsaufenthalte vom Rotary-Club, der auch heute noch dieses Überwinden von Grenzen unterstützt und finanziert.
Woran erinnert sich Andrew Graham, wenn er an seine Zeit in Bottrop denkt? „Vor allem daran, wie gastfreundlich die Leute waren“, zählt er auf. „Und an das Schulsystem, das ist in Deutschland viel anspruchsvoller als in Australien. An die Straßenbahn, den Bergbau. Ich erinnere mich auch an den Karneval - unglaublich, wieviele Menschen da gemeinsam auf den Straßen sind und feiern. Das würde in Australien nicht passieren.“ „Und vergiss nicht das Skatspiel, das du immer in der Hosentasche hattest“, erinnert ihn Jan Gerd Borgmann. „In der Pause habt ihr immer Karten gekloppt. Und wie war das noch mit dem Schützenfest?“ Da hatte Andrew wohl im Biertrinken gegen die deutsche Konkurrenz den Kürzeren gezogen ...
Wie waren die deutschen Mädchen? „Sehr gut“, sagt Andrew und grinst. Dann rückt der JAG-Schüler auf Zeit mit noch einer Erinnerung raus: „Von Hans Günter habe ich einmal zwei Wochen Hausarrest bekommen - ich war ein bisschen zu nett zu den Mädels.“
Noch heute spricht Andrew Graham sehr gut deutsch und er versteht so ziemlich alles, was ihm erzählt wird. Die fremde Sprache hatte er schon als Schüler in Australien vor seinem Aufenthalt in Bottrop gelernt. „Es gab nicht viele bei uns, die das gemacht haben.“
Seine Zeit im fernen Europa hat Andrew Graham 1974 natürlich auch genutzt, um ein wenig mehr von Deutschland und den umliegenden Ländern kennen zu lernen. „Gemeinsam mit zwei anderen Austausschülern bin ich rund um den Bodensee getrampt“, sagt Graham, der heute in einer australischen Kreisstadt als Rechtsanwalt arbeitet. „Dann ging es per Interrail in fünf Wochen durch England, Schottland, Finnland, Schweden, Dänemark, nach Paris und Spanien.“
Seinen vierten Aufenthalt in Bottrop haben Andrew Graham und seine „zweite Familie“, wie er sie nennt, dazu genutzt, in dicken Fotoalben zu blättern und in Erinnerungen zu schwelgen, aber auch ein ansehnliches Besichtigungsprogramm gab es. Tetraeder, Josef Albers Museum, Radtour durch den Köllnischen Wald, Stadtbesichtigung in Münster, Besuch im Gasometer Oberhausen und sogar der Aufstieg auf ein Windrad gehörten dazu. „Es beeindruckt mich sehr, wie Deutschland sich gerade in Energiefragen aufstellt“, sagt der Besucher aus Australien. „Überall Solaranlagen, Windräder, der Bergbau ist fast weg - eine tolle Leistung.“
Beim Spaziergang durch die Stadt ist ihm auch aufgefallen, dass sich im Vergleich zu 1974 eine Menge getan hat. „Es gibt so viel Grün und die Häuser sind nicht mehr so grau wie damals, alles ist viel bunter.“ Was sich - zum Glück - aber nicht verändert habe, sagt Graham, seien die Menschen in Bottrop: „Total freundlich, herzlich, offen.“
Und noch etwas ist - ebenfalls zum Glück - so geblieben, wie es war: Die deutsche Küche. „Ich liebe Schnitzel“, schwärmt Andrew. „Jägerschnitzel, Zigeunerschnitzel, ganz egal. Und Kartoffeln, Rotkohl, zum Nachtisch am liebsten Vanillepudding. Und Kaffee und Kuchen. Käsekuchen, Apfelkuchen, Schwarzwälder Kirsch Torte. Dann bin ich glücklich!“
Autor:Judith Schmitz aus Bottrop |
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