Şahin Aydın auf Spur der Bottroper Ruhrrevolutionäre
Archive sind seine zweite Heimat. Es vergeht nahezu kein Tag, an dem der 49-Jährige nicht in Sachen Heimatforschung unterwegs ist. Auf der Suche nach Quellen und Kontakten zu möglichen Zeitzeugen. Die wechselvolle Zeit der Weimarer Republik und der NS-Terror, das ist es, was ihn besonders interessiert. Und die Schicksale jener Menschen, die nicht in den Geschichtsbüchern zu finden sind.
Das Interesse für Geschichte entwickelte sich schon früh. "Das hat vielleicht auch mit meiner eigenen Geschichte zu tun", verrät Sahin Aydın. 1968 wurde er als Kurde in der Türkei geboren. Mit fünf Jahren kam er mit seiner Familie zunächst nach Gronau, wo er aufgewachsen ist. Seit 1999 lebt er in Bottrop.
Hobbyhistoriker mit kurdischen Wurzeln
Dass sich jemand, der nicht in Deutschland geboren, nicht unmittelbar Teil der Geschichte ist, so intensiv mit dieser auseinandersetzt, das stößt an vielen Stellen auf Interesse. Bei seinen Recherchen erfährt der Mann, der bis 2014 für die Linke im Bottroper Stadtrat saß, an vielen Stellen tatkräftige Unterstützung. Allerdings gibt es auch Vorbehalte in Historikerkreisen. "Ich hatte auch schon das Gefühl, dass mich einige belächeln. Vielleicht weil sie glauben, ich bin Ausländer und spreche deshalb automatisch nicht richtig deutsch." Sicherlich sei Kurdisch seine Muttersprache, räumt der 49-Jährige ein. "Aber ehe ich etwas veröffentliche, gehen meine Texte immer noch einmal an einen Zweitkorrektor, um mögliche Fehlerquellen auszuschließen. Aber das tun deutsche Lokalhistoriker sicher auch." Entmutigen lässt sich der 49-Jährige durch derartige Vorbehalte in seinem Engagement nicht.
Schicksal des Arbeiterführers Alois Fulneczek
Mit dem Schicksal des Bottroper Arbeiterführers Alois Fulneczek hat sich Aydin intensiv beschäftigt. Auf dem Westfriedhof liegt der Arbeiterführer begraben, der 1919 von einem Angehörigen des Freicorps Lichtschlag im Bottroper Gerichtsgefängnis erschossen wurde. "Seine Witwe", so berichtet Sahin Aydin, "musste bis vor das Reichsgericht in Leipzig ziehen, um eine Rente und seine Umbettung kämpfen. Denn zunächst war Fulneczek ohne Einwilligung der Angehörigen in einer der hintersten Ecken des Friedhofs bestattet worden." Mit der Enkelin Fulneczeks hat der Hobbyhistoriker viele Gespräche geführt. "Sie hat mir von ihrer Mutter erzählt, die in der Kanzlei des jüdischen Rechtsanwalts Rosenberg in Essen gearbeitet hat. Der Jurist hat die Witwe des Arbeiterführers im Prozess in Leipzig vertreten. Und sie haben gewonnen."
Ein Leben für die gerechte Sache
In seiner Abhandlung "Ein Leben für die gerechte Sache. Biografischer Abriss von Alois Fulneczek" (Bottrop 2015) hat Aydin die Lebensgeschichte des gebürtigen Deutsch-Polen aufgearbeitet. Auf Prosper hat der gelernte Maurer in seiner neuen Heimat als Bergmann angeheuert, in Bottrop eine Familie gegründet. "Und er hat sich gewerkschaftlich engagiert", weiß Aydin. Nach der Novemberrevolution hat auch Bottrop eine Zeit der Umbrüche erlebt. "Auch in unserer Stadt hat sich damals ein revolutionärer Arbeiter- und Soldatenrat gegründet. Alois Fulneczek hat sich für die Rechte der Bergleute stark gemacht, es wurden Streiks organisiert, man kämpfte für Arbeitsrechte und Sieben-Stunden-Schichten." Als es im Februar 1919 zu kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Volkswehr kam, wurden die Verhandlungsführer der Arbeiter am 23. Februar von Freicorps-Angehörigen verhaftet. "Und am gleichen Tag im Gerichtsgefängnis ermordet."
Grab auf dem Bottroper Westfriedhof
Das Grab des Arbeiterführers Alois Fulneczek auf dem Westfriedhof findet sich dort, wo die revolutionären Arbeiter von 1920 liegen. Seine Familie hat das lange Zeit anonyme Grab all die Jahre hindurch gepflegt. Bis heute kommt die Enkelin regelmäßig. Inzwischen ziert die Grabstätte des Großvaters auch ein Grabstein. Dass es ihn gibt, auch daran war Sahin Aydin maßgeblich beteiligt.
Der Forscherdrang des 49-Jährigen ist ungebrochen. Im letzten Jahr legte er sein Buch „Warten auf Gerechtigkeit - das Denkmal und die Gräber der Revolutionäre auf dem Westfriedhof in Bottrop“ vor. Im Mittelpunkt steht die Geschichte der ermordeten Bergarbeiter nach Niederschlagung des Kapp-Putsches im Jahr 1920. Ein Denkmal auf dem Westfriedhof erinnert an Ruhrrevolutionäre. "Und es sind weit mehr, als die offiziellen Zahlen bekanntgeben", hat der Hobbyhistoriker in mühevoller Kleinarbeit herausgefunden. Über das Melde- und Sterberegister, Listen des Friedhofsamtes, das Bundes- und Militärarchiv in Freiburg, die Totenliste der Märzgefallenen 1920 und das Stadtarchiv hat der 49-Jährige eine Menge neuer Details zu Tage gefördert.
Autor:Christa Herlinger aus Essen-Borbeck |
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