Steigende Jugendgewalt
Die Suche nach den Ursachen und den richtigen Konsequenzen
Kaum eine Woche vergeht ohne Meldungen wie diese:
- "Gelsenkirchen: Junge (16) sticht auf 15-Jährigen ein" (17.05.2024)
- "Messerattacke in Ingolstadt: Jugendlicher Täter (14) war der Polizei bereits bekannt" (16.05.2024)
- "33-Jähriger stirbt nach Angriff durch Jugendliche" (16.05.2024, Magdeburg)
- "Kleiner Joel (6) brutal erstochen: Jugendlicher Täter (15) wegen Mordes verurteilt" (02.05.2024, Pragsdorf)
- "Jugendkriminalität: Bottroper Gruppe sorgt weiter für Unruhe" (08.04.2024)
Das Einführen von Taschenkontrollen an Essener Schulen ist im Gespräch, in Gelsenkirchen wurde die SoKo "Jugend" eingerichtet und in Bottrop soll die Aktion "Jugend in die Mitte" die Jugendkriminalität verringern. Die Probleme sind also bekannt und es wird bereits versucht, dagegen zu wirken.
Woran liegt es, dass Kinder und Jugendliche aggressiv und gewalttätig werden?
In einem Beitrag vom SWR ist von zwei Teilen die Rede: Das angeborene Temperament und die Art, wie die Familie mit diesem Temperament umgeht.
An dieser Stelle wird ein leicht verständliches Beispiel genannt: „Man kann sich das so vorstellen: Wenn ein Baby zur Welt kommt, kriegt es eine Kiste mit Lego-Steinen. Aber was aus diesen Steinen gemacht wird, muss sich erst zeigen. Man kann damit schöne Häuser bauen oder sie achtlos in eine Ecke kippen.“
Kinder beobachten ihre Umwelt und ahmen nach. Dadurch lernen sie sprechen, dadurch lernen sie, wie sie sich richtig verhalten.
Vor allem in den ersten Jahren sind die Eltern als Bezugspersonen wichtige Vorbilder für die Kleinen. Nicht nur, weil diese sich das Verhalten ihrer Eltern abschauen. Es kommt auch darauf an, wie Erziehungsberechtigte mit den Bedürfnissen und dem Verhalten ihres Nachwuchses umgehen: Wird ein Kind immer wieder geschlagen, wenn es etwas falsch gemacht hat, dann fühlt es sich unverstanden und alleingelassen. So lernen Kinder, Probleme ebenfalls mit Gewalt zu lösen.
Wird dem Kind stattdessen erklärt, was es falsch gemacht hat, dann kann es daraus lernen und es beim nächsten Mal besser machen. Das Kind fühlt sich wahrgenommen und weiß, dass es bei Fehlern keine Angst vor der Reaktion der Eltern/Erziehungsberechtigten haben muss.
So einfach wie es klingt, ist es in der Realität leider nicht. Denn neben dem angeborenen Temperament und dem Reagieren der Eltern auf die Bedürfnisse ihrer Kinder gibt es noch weitere mögliche Ursachen dafür, dass Kinder und Jugendliche gewalttätig werden:
Fehlende Liebe
Kinder, welche keine Zeit mit ihren Eltern verbringen, weil diese Arbeiten sind oder weil diese keine Energie oder keine Lust haben, um zum Beispiel gemeinsam ein Buch anzuschauen, um Spiele zu spielen und um zusammen die Natur zu entdecken, denen fehlt es an Zärtlichkeiten, an Aufmerksamkeit, an Liebe. Wenn Kinder sich nicht beachtet fühlen, entsteht oft Wut. Wer nicht gelernt hat, mit seiner Wut umzugehen, lässt sie nicht selten an seinen Mitmenschen und an Gegenständen aus.
Uneingeschränkter Medienkonsum
Kinder, welche oft alleine sind, verbringen viel Zeit vor dem Fernseher oder im Internet. So stolpern sie über Inhalte, welche nicht für ihr Alter gedacht sind. Eltern bekommen oftmals gar nicht mit, welche Inhalte ihre Sprösslinge im Netz konsumieren.
Da Kinder von Natur aus neugierig sind, spielen sie nach, was sie in Videos gesehen haben.
Zudem beobachte ich oft zufriedene Kleinkinder, welche interessiert aus ihrem Kinderwagen ihr Umfeld beobachten, bis zu dem Moment, als ein Elternteil ihm plötzlich ein Tablet in die Hand drückt und es somit von der realen Welt ablenkt. Eine anerzogene Mediensucht?
Kinder brauchen echte Vorbilder, eine Beziehung zu einem echten Menschen: Eine reale Person, die mit ihnen kommuniziert, ihnen zuhört, sie versteht, ihnen Regeln beibringt und Werte vermittelt. Medienkonsum kann keine Erziehung ersetzen!
Falsche Freunde
Wer zuhause zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, sucht sich die Zuneigung woanders. Wer so an falsche Freunde gerät, zum Beispiel Kinder, welche bereits früh mit Drogen und Alkohol in Kontakt gekommen sind oder Kinder, welche bereits Gewalterfahrungen gemacht haben, der droht durch den Gruppenzwang ebenfalls abzurutschen.
Flucht aus Krisengebieten
Flüchtlingskinder aus Kriegsgebieten mussten bereits Gewalt in ihrer Heimat erleben: Ungerechtigkeit, Hilflosigkeit, Angst und Gewalt gehörten für sie zu ihrem Alltag. Wer in so einer Situation aufwächst, bei dem sinkt die Hemmschwelle, selbst gewalttätig zu werden.
Geldknappheit
Erst sorgte der Lockdown mit Arbeitsverboten in der Pandemie für Geldsorgen, dann kam die Inflation: Ein Tag im Freizeitpark, ein Auslandsurlaub, ein neues Fahrrad, eine Taschengelderhöhung sind nicht (mehr) drin. Stattdessen mussten Familien in eine kleinere Wohnung umziehen, das Auto verkaufen oder den geliebten Familienhund aus Kostengründen abgeben. Wenn die Wünsche und Bedürfnisse (und der gewohnte, sichere Lebensstandard) auf der Strecke bleiben, kann das Jugendliche ziemlich aus der Bahn werfen.
Welche Konsequenzen sind die richtigen?
Es gibt Gründe dafür, warum gewalttätige Kinder so sind, wie sie sind. Wenn man diese nicht kennt,
laufen die Konsequenzen ins Leere: Unverhältnismäßige Strafen zu verhängen, stößt die Kinder- und Jugendlichen ein weiteres Mal vor den Kopf und kann das Verhalten sogar noch weiter verschlimmern.
Man muss sich also immer fragen: Was haben sie bereits erlebt? Waren sie selbst Opfer von Gewalt? Fehlt ihnen Liebe und Aufmerksamkeit? Haben sie ein traumatisches Erlebnis hinter sich? Fehlt die Erziehung? Hier muss man genau hinschauen, bevor man handelt.
Den Erziehungsauftrag ernst nehmen
Kinder sollten gewaltfrei aufwachsen, um sich zu glücklichen, respektvollen und engagierten Erwachsenen entwickeln zu können. Leider ist das aktuell ein utopischer Gedanke.
Wir müssen akzeptieren, dass es die unterschiedlichsten Gründe gibt, warum Kinder und Jugendliche gewalttätig werden.
Leider können wir nicht verhindern, dass unsere Kinder in der Schule Opfer von Mobbing und Gewalt werden, da vor allem auf weiterführenden Schulen eine Vielzahl an unterschiedlichen Kulturen, sozialen Schichten sowie unterschiedlichen Bildungs- und Entwicklungsniveaus aufeinandertreffen.
Wir können als Eltern aber dazu beitragen, dass unsere Kinder gar nicht erst gewalttätig werden! Wir müssen als Erziehungsberechtigte für unsere Kinder da sein, das ist schließlich unsere Aufgabe: ihnen zuhören, sie ernst nehmen und verstehen, ihnen ein gutes Vorbild sein und Grenzen zeigen, sie stärken und erkennen, wenn sie unsere Hilfe brauchen.
Gewaltprävention als Unterrichtsfach
Was die Eltern ihren Kindern nicht beibringen, kann die Schule alleine nicht geradebiegen.
Dennoch kann die Schule ihren Teil dazu beitragen, Gewalt unter Kindern und Jugendlichen zu verringern: durch Gewaltprävention.
Bedeutet das also: eine zusätzliche Qualifizierung für Lehrer, die sowieso schon mit Überstunden den Personalmangel auffangen müssen?
Nicht unbedingt. Wie wäre es mit aufklärenden Polizeibeamten im Unterricht? Oder einem Informations- und Aktionstag im Monat an den Schulen zum Thema Gewalt: Welche rechtlichen Folgen haben Straftaten? Was kann man tun, wenn man gemobbt wird? Wie kann man Gewalt vorbeugen? Wohin mit den Aggressionen?
Jugend in die Mitte
Durch den leichten Zugang zum Internet mit sozialen Plattformen, Messengern, Videos, Spielen und Musik fehlt oft die Motivation vor die Tür zu gehen und echte Menschen zu treffen, Sozialverhalten zu lernen und Probleme gewaltlos zu lösen.
Um Jugendliche in ihrer Entwicklung zu begleiten, um ihnen Möglichkeiten zu schaffen, echte Menschen zu treffen und ihnen eine alternative Lösung zu zeigen, um angestaute Wut rauszulassen, bietet die Aktionsreihe "Jugend in die Mitte" jeden Donnerstag am Berliner Platz in Bottrop von 17 bis 19 Uhr kostenlose Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung an. Mehr Details dazu auf der Internetseite der Stadt Bottrop.
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