Wölfe im Ballungsraum
Wolf & Kulturlandschaft: Lösungen zu Ende gedacht

Zu meinem Beitrag muss ich eine Korrektur nachliefern: Es wurde nicht von Seiten der Wolfsberaterin die Empfehlung gegeben, den Bereich 1-2 Tage in der Dunkelheit zu meiden - dies korrigiere ich hiermit und möchte mich hier nicht an der Verbreitung von Fehlinformationen beteiligen. 

Ich höre und lese immer wieder nach Rissen in der direkten Nachbarschaft "Schützt endlich eure Tiere", "Schafft endlich Lösung statt zu jammern",  "Man muss halt lernen, wieder mit dem Wolf zu leben", "Sperrt eure Tiere nachts weg", "Ich gehe da regelmäßig spazieren und noch nie habe ich einen Wolf gesehen" oder der Klassiker "Soll der Wolf etwa Spargel stechen gehen".

Im Februar 2022 wurde ein ausgeweidetes Rotwild in unmittelbarer Nähe zu unseren Wohnhäusern hier in Kirchhellen gefunden. Es gab die Aussage von jemanden vor Ort, dass wir Anwohner den Bereich in der Dunkelheit meiden sollten, da die Wölfe (deutlich mehr als 2 Tiere) oft wiederkommen, weil sie ja wissen, wo sie den Kadaver zurückgelassen haben ....  Und das ist nur ein Beispiel, wie entspannt die Wölfe hier mit der Nähe zum Menschen umgehen. Im übrigen lag der Kadaver ca. 100 Meter von der Bushaltestelle entfernt, an der meine Kinder (und die aus der Nachbarschaft) morgens in der Dunkelheit auf den Bus warten.

Wenn mich Kommentare von völlig unbetroffenen Laien anfangs provoziert haben, stimmen sie mich mittlerweile nur noch nachdenklich. Ich frage mich, welche Sehnsucht manche Menschen über den Wolf kompensieren oder welche Leere versucht wird zu füllen.  Können Menschen, die sich aussuchen können, wann und wohin sie mit ihren Hunden z.B. zum Gassigehen 'hinfahren', oder die sich  besonders naturnah fühlen, weil sie regelmäßig mit ihren nach menschlichen Bedürfnissen oder ursprünglich für bestimmte Zwecke gezüchteten "Fellnasen" im Wald sind, nachvollziehen, wie es sich anfühlt nach Nächten, in denen die Haus- und Hofhunde mittlerweile sehr zuverlässig die Anwesenheit und Jagdversuche der Wölfe anzeigen, früh morgens oder spät abends hier rauszugehen? Wie heute früh wieder geschehen.

Können Menschen, die schon durchdrehen, wenn eine Ratte sich im Dorfkern zeigt, sich vorstellen, dass ein Wolf keinerlei Problem darstellt ... sehr wohl aber ein Rudel, das nun unseren Lebensraum als ihr Revier besetzt. Dann ist mir persönlich auch egal, wer von uns zuerst da war (?) ... jetzt und hier haben wir hier im Ruhrgebiet und Niederrhein dicht besiedelte Ballungsräume, die hauptsächlich von Menschen, für die Gewinnung von Nahrung und deren Komfort genutzt werden. Dass es kaum Wildnis in Deutschland gibt, kritisiert selbst die Naturschutzorganisation WWF. Schätzungsweise gerade einmal 0,6 Prozent der Landfläche in der Bundesrepublik sind laut WWF geschützte Wildnisgebiete (2020). Dabei hätten es bis Ende 2020 eigentlich 2 Prozent sein sollen – zumindest laut der "Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt", die die Bundesregierung 2007 beschlossen hat. Wenn ich mich nicht irre, wird der Wolf aber doch immer als Wildtier bezeichnet, das eben auch Wildnis als Lebensraum benötigt.

Ein oder zwei Wölfe sind und waren nie ein Problem hier in den Außenbezirken von Kirchhellen oder Schermbeck. Aber wir reden hier nach glaubhaften Berichten aus der Nachbarschaft mittlerweile über ein auf bis zu 5-7 Tiere angewachsenes standorttreues Rudel (möglicherweise ein 2. Rudel), das sein Jagdrevier hier in direkte Nähe zu uns Anwohnern erweitern musste und eben sehr regelmäßig auf Nahrungssuche an und bei unseren Häusern, Familien und Haustieren ist. Heute früh wiederum (Anmerkung: 16.01.2023) wurde in einem halbseitigen Artikel von 4 nachgewiesenen Tieren berichtet - suggeriert die Überschrift Artikel jedoch, dass wir aktuell (2023) nur die 4 Wölfe hier haben, da die Tiere aus dem Wurf von 2021 scheinbar verschollen sind.

Ich gehe raus und stehe direkt im aktiven Jagdgebiet der Wölfe - das suche ich mir nicht aus. Tag und Nacht. Meine und alle anderen Hunde hier reagieren tatsächlich entsprechend - was mir ein noch mulmigeres Gefühl gibt. Ich kenne niemanden hier, der nach solch unruhigen Nächten nicht zumindest ein Auge auf die Kinder an der Bushaltestelle früh morgens hat. Und das ist jetzt schlichtweg unser persönliches Lebensrisiko, das zu akzeptieren ist?

Stichwort Lösungen. Ich bin lösungsorierientiert. Wirklich. Aber wie hoch sollen denn die Zäune sein - 0,90 m wie empfohlen (und gefördert) für Jungpferde und Kleinponies oder etwa 1,70 m wie bereits des öfteren überwunden? Und gilt das demnächst auch für Hunde oder Katzen etc. (es werden immerhin schon die Tierarztkosten gefördert, wenn wolfsverursachte Verletzungen vorliegen) und schützen wolfsabweisende Zäune nur tagsüber?  ... weil nachts ja alle Tiere in den Stall gehören und im Dunkeln gehen wir Menschen ja sowieso nicht raus? Warum sind denn in Tiergehegen die Zaunanlagen wie sie sind, damit die Wölfe dort bleiben? Müssten nicht alle Alarmglocken klingeln, wenn man jetzt schon  liest, dass wolfsverursachte Verletzungen bei Haustieren billigend in Kauf genommen werden und dass man seine Haustiere schützen sollte ...

So manch ein Weidetierhalter mag sich ja durch die Förderungen nun seine maroden Zäune sanieren. Aber ist das etwa Investition in zukunftsorierentierte und nachhaltige Landwirtschaft? Glaubt das wirklich jemand? Und was passiert denn, wenn unsere gesamte Region in ein großes Freilaufgehege für Wölfe umgewandelt worden ist und Millionen in den präventiven Wolfsschutz gesteckt worden sind? Wann ist ein günstiger Erhaltungszustand erreicht, d.h. wie viele Wölfe müssen hier leben, um den Erhaltungszustand zu sichern? Oder wie viele Millionen an Fördergeldern müssen fließen und ab wann ist auch für die Landesregierung die Grenze der Verhältnismäßigkeit erreicht? Fest steht nur, das die Zahl der hier lebenden Wölfe stetig angestiegen ist und weiter ansteigt.

Höherer Wolfsdruck erfordert auch besseren flächendeckenden Herdenschutz. Soweit so gut. Aber alle Weiden auch in Naturschutzgebieten einzuzäumen oder Ställe zu bauen, ob gefördert, kurzfristig genehmigt, privat oder mit öffentlichen Geldern unterstützt, bedeutet nun mal in vielen Fällen wildundurchlässig und extrem kostenintensiv wolfsabweisend aufzurüsten. Und zu mehr Distanz in einem solchen Ballungsraum zwischen Mensch und Wolf führt das doch auch nicht. Die Besiedelung und die Menschen werden sich nicht zurückziehen, der Wolf sich aber sehr wohl mehr ausbreiten.

Bis sich dann der Bestand über das Nahrungsangebot, Anpassung des Jagdverhaltens oder Besetzung neuer Reviere selbst reguliert, sind zig Millionen ausgegeben und der propagierte waldbiologische Nutzen durch Wölfe ad adsurdum geführt … und das große Freilaufgehege im Prinzip überflüssig. Aber immerhin war der Wolf da, und sei es nur um des gesetzlichen Daseins und NABU Willen.

Ein Blick nach Niedersachsen würde auch genügen, um festzustellen, dass in einem noch bevölkerungsintensiveren Ballungsraum wie dem hier im Ruhrgebiet bzw. am Niederrhein ein Zaunwettrüsten gegen das Jagdverhalten unkontrolliert steigender Wolfspopulationen nur verloren werden kann. Unseren Lebensraum hier komplett dem empfohlenen Schutzmaßnahmen gemäß einzuzäunen kostet extrem viel. Niedersachsen allein hat im Jahr 2020 laut Umweltministerium bereits mindestens 3,5 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen ausgezahlt. Und dennoch hat sich die Landesregierung dort für weitere Maßnahmen entschieden, da es entgegen ursprünglich günstiger Prognosen durch verbesserten Herdenschutz immer wieder weitere Wolfsrisse gegeben hat. Soviel zum Thema Verhältnismäßigkeit.

Und die Kurzfristigkeit mit der in NRW z.B. 1,5 Millionen Euro für Förderung von wolfsabweisenden Zäunen scheinbar bereit gestellt werden können - während wir nach fast 2 Jahren Pandemie die Bereitstellung von knapp 1 Million Euro für Schulen feiern - stimmen uns in Sachen Verhältnismäßigkeit zumindest sehr nachdenklich.

Der Wolf ist am Ende des Tages ein Wolf und wird sich auch wie ein solcher verhalten oder entwickeln. Das kann ich als Laie selbst nachvollziehen. Sind es dieselben Kommentatoren, die, wenn der erste Hund hier verletzt oder gar getötet wurde, schreiben: run free kleine Fellnase ... wie schön, dass die kleine Fellnase derart artgerecht und naturnah über die Regenbogenbrücke gebracht wurde?

Und es werden sogar Stimmen laut, den Schutz selbst in die Hand nehmen zu wollen. Aber wohin soll das wiederum führen, Selbstjustiz ist immer die schlechteste Lösung – sowohl für die Tiere als auch für unsere Gesellschaft. Auf der andern Seite brauchen wir hier bestimmt auch keine paramilitärisch anmutenden und selbsternannten „Herdenschützer“, wie wir es zuletzt mit dem sogenannten „Herdenschutz Ruhr“ erleben durften. Das in Wort und Tat provokante und grenzüberschreitende Verhalten extremer Wolfsschützer, das die Lobby sehr gut organisiert deutschlandweit immer wieder sich mitbringt, scheint uns auch hier vor Ort manchmal recht absurd.

Kommen wir zu möglichen Lösungen: viele Betroffene wünschen sich mittlerweile ein Paradigmenwechsel weg von den gebetsmühlenartigen Lobbykommentaren. Es geht nicht um die Ausrottung von Wölfen, sondern um eine regionale Regulierung des Wolfsbestandes in unserer Kulturlandschaft oder auch ggf. die Ausweisung von wolfsfreien Zonen (wie z.B. Ballungsräume). Der beiderseitig zugemutete Lebensraum und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen müssen in das Wolfsmanagement mit einbezogen werden. Die NRW-Landesregierung will mit einer neuen Verordnung rechtliche Grundlagen für das Vergrämen und im äußersten Fall den Abschuss von «Problem-Wölfen» im Land schaffen. Nur wird die eindeutige Identifizierung als Problemwolf recht schwierig bis unmöglich (gemacht).

Während wir im Rahmen der Coronapandemie und auf Basis eines politisch-gesellschaftlichen Konsens, alles Erdenkliche getan haben und tun, um Schwächere oder Minderheiten zu schützen, wird von der Landbevölkerung im Wolfsgebiet Schermbeck verlangt, mit der Gegenwart der Wölfe als hinzunehmendes Lebensrisiko zu leben. Für uns aber, die wir nun mittlerweile wirklich mit Wölfen auf Nahrungssuche in unseren Gärten und Nähe unserer Wohnhäuser leben müssen, stellt die über die letzten 3 Jahre ungebremst wachsende Zahl der ortstreuen Wölfe nicht nur ein Grund zu Sorge um die Sicherheit unserer Familien und Haustiere dar, sondern auch eine Einschränkung unserer Lebensqualität. Vielleicht kann das ja, wenn auch nur ansatzweise, von einigen Menschen eher nachvollzogen werden - und ich meine das nicht böse oder provokant.

Uns ist auch bewusst, dass wir (die Anwohner, Weide- und Nutztierhalter und Landwirte) nicht die laute Mehrheit unbetroffener Mitbürger mit Sehnsucht nach intakter Natur darstellen oder eine breite Lobby wie der NABU oder BUND im Rücken haben. Wir hoffen, bei den in der Verantwortung stehenden Politikern und Politikerinnen auf Gehör und Verständnis und vor allem auch auf die Einsicht des Handlungsbedarfs zu treffen. Und der niedersächsische Weg scheint ein Schritt in die richtige Richtung, unabhängig von irgendwelchen Befindlichkeiten.

Lösungen ja. Aber bitte auch zu Ende gedacht.

Autor:

Nic Busch aus Bottrop

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