Thema: 1. Weltkrieg
Vor 104 Jahren schrieb der Bottroper Arbeiter Karl Bläcker an Karl Liebknecht
Bottrop, d. 28.12.1914
Geehrter Herr Abgeordnete !
Als ehemaliges eingeschriebenes Mitglied und als tätiges Mitglied der soz.-dem. Partei habe ich an allem, was Politik betrifft, immer regen Anteil genommen, auch, nachdem ich seit mehreren Jahren aus der Partei ausgetreten bin. Nun habe ich in einem Zentrumsblatt gelesen, daß Sie im Reichstage allein den Mut hatten, gegen die Kriegskredite zu stimmen. Möge bald die Erleuchtung, daß der Krieg ein Verbrechen ist, auch noch anderen kommen. Für mich war es seit Bekanntenkreisen nie einen Hehl daraus gemacht, daß die regierenden Kreise unsres „herrlichen Vaterlandes“ zumindesten gerade soviel Schuld an den jetzigen Zuständen sind, als diejenigen der übrigen Staaten. Als Sozialdemokraten wissen wir, daß der Krieg wirtschaftlichen Ursachen entspringt, wer aber, wie ich, die soz.-den. Presse zu Anfang des Krieges verfolgt hat, da ist mir manchmal der Ekel gekommen über den Hakntismus und die Bizantinerei in dieser Presse. Schrieb doch die Remscheider Arbeiterzeitung einmal, daß dem deutschen Arbeiter der deutsche Unternehmer und Kapitalist näher stände, als der fremdländischer Arbeiter. Ich bin von Anfang an Gegner dieses und jeden Krieges gewesen, nicht nur wegen der Ursachen, sondern auch und besonders wegen der wahrscheinlichen Folgen. Besonders für die Arbeiterbewegung. Man hat mich meiner Auffassung und Befürtungen wegen in Bekanntenkreisen zum Anarchisten gestempelt. Aber ich will lieber so heißen, als ein Sozialdemokrat sein, welcher für deutsches Kosakenregiment Hurra brüllt. Und in dieser meiner Auffassung bin ich in den letzten Wochen immer mehr bestärkt werden, seitdem ich die Segnungen und das Knutenregiment der Firma Krupp, durch Arbeitslosigkeit gezwungen, auf mich nehmen mußte. Heute mehr wie je bin ich der Auffassung, daß das Volk sich von den blutrüstigen Tyrannen evtl. mit Gewalt befreien muß. Möge Ihre Tat Ansporn sein, ein Murren in Volk zu erwecken, dem die Despoten vergeblich ihr Ohr zu verschließen suchen. Ich bin der Überzeugung, Hunderttausende warten auf das Zeichen, ihre Unzufriedenheit kund zu geben. Alle wollen und wünschen den Frieden.
Ich mag mein Urteil nicht als maßgebend angreifen, aber ich will es Ihnen kundgeben: Wenn jemals ein Volk seine Zeit nicht verstand und seiner Zeit nicht gewachsen war; dann war es die deutsche Sozialdemokratie zu Ausbruch des Krieges. Hoffentlich wird Ihre Tat gute Früchte zeitigen. Sie hat mir gezeigt, daß in einzelnen Köpfen proletarisches Empfinden wieder zu Ehren kommt.
In aller Hochachtung und mit Proletariergruß
Karl Bläcker
Quelle: Sahin Aydin: 100 Jahre Novemberrevolution - 100 Jahre „Rathausturm“ 1918/19 Bottrop „ , Seite 7, Tredition Verlag Hamburg 2018 (Das Buch erscheint in Kürze).
Autor:Aydin Sahin aus Bottrop | |
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