Neue Recherchen zum Bottroper Rathaussturm
Der Sturm auf das Bottroper Rathaus
Vor 100 Jahren stürmten Arbeiter das Bottroper Rathaus. Mit der Erforschung der damaligen Ereignisse scheinen SPD und Stadtarchiv überfordert zu sein. Sie überlassen einem Herrn Hoffmann das Podium, der sich als Bewunderer der rechtsextremen, monarchistischen Freikorps entpuppt.
Nicht positiv zur Novemberrevolution
Wir haben in der WAZ bereits auf Herrn Hoffmann geantwortet: Er bezieht sich nicht positiv auf die Novemberrevolution 1918, die die Monarchie stürzte.
Es gelingt ihm nicht, den Bottroper Rathaussturm allgemein historisch einzuordnen: Weder erinnert er an das Morden im Ersten Weltkrieg, bei dem über 1600 junge Männer aus Bottrop von Monarchie und Militär in den Tod gejagt wurden.
Noch sieht Herr Hoffmann die Ereignisse vom Februar 1919 im Zusammenhang mit der sozialen Bewegung und den Streiks der Bergarbeiter, die schließlich im April ihren Höhepunkt fanden.
Es siegten die Bergarbeiter
Wie wir bereits nachgewiesen haben, erfolgte der Einsatz des Militärs, um die Streikbewegung niederzuschlagen. Dies entsprach der Sicht führender Sozialdemokraten des Ruhrgebiets:
Für Mehlich führten die Streiks an den „Rande des Abgrunds“, für Limbertz zur „wirtschaftlichen Zerrüttung“ (Zentralrat der Sozialistischen Republik Deutschlands, Allgemeiner Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, Berlin 1918, S. 322 u. S. 52, in: Kritische Bibliothek der Arbeiterbewegung, Nr. 1, 2. Aufl., Reprint, Berlin 1975).
Das Militär war gegen die Streiks der Bergarbeiter machtlos. Als im April 1919 über 300.000 Kumpel die Sieben-Stunden-Schicht erstreikten, brach keineswegs die Wirtschaft zusammen. Es wurden nur die Profite der Ruhrindustriellen geschmälert.
Quellen zum Rathaussturm
Zur Bewertung des Bottroper Rathaussturms verweisen wir auf zwei Quellen aus Essen und Bochum, die in der Debatte bisher kaum eine Rolle gespielt haben: das Bochumer Volksblatt (BV) der SPD von 1919 und auf die bürgerlich-konservative Essener Allgemeine Zeitung (EAZ) von 1919. Während das BV einen Redakteur nach Bottrop schickte, um über den Rathaussturm zu recherchieren, berichtete die EAZ seitenweise über jeden Prozesstag gegen die des Angriffs auf das Rathaus Angeklagten.
Auslöser: SPD-Angriff auf Prosper
Noch vor dem Einmarsch des Militärs griff am 18.02.1919 die bewaffnete sozialdemokratische Sicherheitswehr des Bottroper Arbeiter– und Soldatenrats Streikende auf Zeche Prosper 1 und 2 an. Die Bottroper SPD-Spitze teilte die Ansichten von Mehlich und Limbertz und setzte sich über den Streikbeschluss des revierweiten Delegiertenrates hinweg. Ein Bergarbeiter wurde getötet. 22 Bergarbeiter und Sprecher der Arbeiter wurden gefangen genommen und im Rathausgefängnis inhaftiert. Polizei und sozialdemokratische Sicherheitswehr bezogen im Rathaus Stellung.
Die Reaktion der Arbeiter– und Soldatenräte
Für die Streikenden war das ein Tabubruch. Sie sahen das Streikrecht seit dem Sturz des Kaisers als Grundrecht an. Deshalb alarmierten sie die Arbeiter– und Soldatenräte in Sterkrade und Mülheim.
Es sammelten sich Abteilungen der Sicherheitswehren aus Mülheim, Sterkrade, Hamborn, sogar Polizei aus Düsseldorf. Legitimiert durch ihre Arbeiter– und Soldatenräte marschierten sie nach Bottrop, um Streikende zu schützen, gefangene Arbeitersprecher zu befreien und den nach ihrer Meinung illegitim handelnden Bottroper Arbeiterrat abzusetzen. Man kann die Ereignisse so oder anders bewerten. Aber eines geht gar nicht: Wie Herr Hoffmann die Streikenden im Freikorps-Jargon als Banditen abzuqualifizieren.
Der Angriff
Die revolutionären Sicherheitswehren griffen das Rathaus am 19. Februar an. Die Verteidiger (Bottroper Polizei und sozialdemokratische Sicherheitswehr) wollten nicht kapitulieren, weil sie auf Entsatz durch Truppen hofften. Nach Einsturz der Fassade kapitulierten die Rathausverteidiger doch.
Der gebrochene Waffenstillstand
In einer folgenden Versammlung der Bottroper SPD, an der auch Rathausverteidiger teilnahmen, wurde berichtet: Demnach hätten Verteidiger nach Beschuss durch Artillerie und Minenwerfer die weiße Fahne aufgezogen. Da aber ein Gang eingebrochen und eine Gasleitung geplatzt gewesen sei, habe keine Verbindung zu den Verteidigern im anderen Flügel des Rathauses aufgenommen werden können. Die hätten weiter geschossen (Wie die Regierungstruppen hausten, in: Volksblatt, Nr. 61, Bochum 13.03.1919, S. 2). Die Angreifer mussten jedoch den Eindruck haben, dass sie in eine Falle gelaufen waren.
Das instrumentalisierte ´Massaker`
Über die Ereignisse nach der Kapitulation scheint Klarheit zu herrschen. Dreizehn gefangene Rathausverteidiger seien nach der Gefangennahme bestialisch erschlagen worden.
Die Essener Allgemeine Zeitung berichtete sehr detailliert über 25 Tage Verhandlung am Essener Schwurgericht gegen die angeklagten Ratshausstürmer. Ausführlich ließ sie 21 Angeklagte, Zeugen, Staatsanwalt, Richter und Rechtsanwälte zu Wort kommen. Sie schrieb unter Hervorhebung: „Elf der Verteidiger fanden ihren Tod, davon waren fünf erschlagen worden" (EAZ 18.07.1919). Sicherlich ist und bleibt es immer ein Verbrechen, wehrlose Gefangene zu erschlagen. Darüber kann es keine zwei Meinungen geben. Aber der Tod und die Anzahl der toten Rathausverteidiger wurden und werden instrumentalisiert, um die streikenden Bergarbeiter als blutrünstige Verbrecher darzustellen.
Hetzjagd auf polnische Arbeitsmigranten
1913 waren 51 Prozent der EinwohnerInnen Bottrops MigrantInnen. Sie waren unsere (Ur)urgroßmütter und -väter.
Einer der vielen katholischen Polen war der Arbeiter Alois Fulneczek. Er war ein Sprecher und Verhandlungsführer dieser größten Gruppe von MigrantInnen in Bottrop.
Für Preußen galten sie als unzuverlässig
Den preußischen Behörden galten die katholischen polnischsprachigen Bergarbeiter im Ruhrgebiet als unzuverlässig. Viele von ihnen sympathisierten im Ersten Weltkrieg mit einem Sieg Frankreichs. Denn während Preußen an der Teilung Polens beteiligt gewesen war, war der polnisch Nationalheld Józef Poniatowski Marschall in Napoleons Armee im Kampf gegen Preußen und Rußland für Polens Unabhängigkeit gewesen.
Das Bürgertum nannte sie ´Polacken`.
Die polnischsprachigen EinwandererInnen im Ruhrgebiet wurden vielfach unterdrückt. Vom Bürgertum wurden sie als ´Polacken` diffamiert. Dass die Bergarbeiter nach der Novemberrevolution zur politischen Kraft wurden, war bürgerlichen Kreisen unerträglich. Doppelt schlimm fanden sie das politische Erwachen der polnischen Bergarbeiter und ihre Rolle in der Streikbewegung. Von fünf verurteilten Streikleitern von Prosper waren Jankowski, Zurek, Pietrowski und Bujotzek (EAZ, Nr. 235, 27.08.1919) ebenso polnischsprachige Migranten wie der Tote Skowroneck und der Schwerverwundete Skupin.
In ihrem bekannten Lied sangen die Freikorps, die Vorläufer von Hitlers SA: „Wehe Dir Du Arbeiterschwein“! Es war kein Zufall, dass sie Alois Fulneczek suchten, verhafteten, ermordeten. Hier musste ein polnischer Arbeitsmigrant für alle, die aufbegehrten, mit seinem Leben zahlen.
Dr. Peter Berens / Historiker
Sahin Aydin / Lokalhistoriker/ehem. Ratsmitglied
Autor:Aydin Sahin aus Bottrop | |
Webseite von Aydin Sahin | |
Aydin Sahin auf YouTube |
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