POINTEN AUS STAHL
Glosse: „Mach dich locker, Mutti!“

Nie war der Tag der Arbeit feierwürdiger als in diesem Jahr, aber noch nie konnte man ihn so wenig feiern wie dieses Mal. Aber da ist ja jetzt Licht am Ende des Krankenhausflures. Die ersten Lockerungsübungen werden derzeit probiert, und das geht alles nur, weil alle so toll mitgemacht haben. An Ostern sind nämlich alle schön zu Hause geblieben und haben „Das Leben des Brain“ geguckt. Oder so ähnlich.
Dass der Ausstieg aus dem Ausnahmezustand eingeleitet wurde, erkennt man auch daran, dass Hamsterkäufe beendet und alle Klopapier-Witze dazu gemacht wurden. Die Regale sind wieder voll. Rewe zum Beispiel hat Klopapier in Ungarn und Polen bekommen. Da hat man natürlich genug davon, regieren doch gerade in diesen Ländern die größten Ärsche der EU (Stichwort: Demokratie-Defizit). Die Amis waren natürlich noch irrationaler als wir Deutsche und hatten Waffen gehamstert – wahrscheinlich für den Fall, dass das Virus mutiert. Hollywood lässt grüßen. Die Franzosen hatten hingegen Güter gehortet, für die man mehr Verständnis aufbringen kann: Kondome und Rotwein. Man muss eben das Beste aus der Situation machen. Außerdem ist das sehr vorausschauend, damit man nach der Corona-Krise nicht auch noch Krankenhausbetten freihalten muss wegen einer höheren Geburtenrate. Sonst heißt es über uns Männer immer, wir würden mit dem primären Geschlechtsorgan denken; die Franzosen zumindest vögeln mit Verstand. Chapeau!

Ende des Lockdowns bedeutet aber nicht, dass jetzt zu viel gelockert werden darf, vor allem nicht die Schraube von Armin „Mach dich locker, Mutti!“ Laschet, der sich eher mal am Riemen reißen sollte, statt die Verfehlungen von Bund und Ländern auf die Städte abzuschieben. Da sieht man aber auch, dass einige Politiker keinen Mundschutz brauchen, sondern einen Maulkorb. Das wäre auch etwas, das nach der Krise bleiben könnte, die sogenannten FDP-Masken.
Die Maskenpflicht jedenfalls erlaubt uns wieder andere Freiheiten. Allerdings sollten sich nicht nur Kunden an die Schutzvorschriften halten, sondern auch das Verkaufspersonal. So bringen auch Schutzhandschuhe nur dann etwas, wenn man sie richtig verwendet. Ich frage mich zum Beispiel ständig, warum meine Bäckereifachverkäuferin diese Handschuhe trägt, wenn sie a) neben dem Brot auch das Kleingeld damit anfasst und b) zwischendurch mal – öhü öhü – auf die Handfläche hustet. Da hilft es auch nicht, dass die gebackenen Amerikaner alle nur noch mit Zuckergussmundschutz zu haben sind.
Darüber hinaus dürfen wir auch die Umwelt nicht vergessen: Andere Ländern kärchern ihre Straßen mit Sagrotan, und bei uns sind wir nicht einmal in der Lage, unsere Schutzmaterialien richtig zu entsorgen. Früher sah man öfter mal Kondome auf dem Gehweg liegen; jetzt sind es immer öfter gebrauchte Gummihandschuhe – oder eben Kondome von Männern mit Mutation; man weiß es nicht so genau. Da erscheint dann die Redewendung „High five!“ in einem ganz anderen Licht.

Wie auch immer, hinter der Behauptung, dass wir unsere alten Freiheiten zurückbekämen, verbirgt sich ein Trugbild, denn mit jeder neuen alten Freiheit, die wir zurückerhalten, geben wir unsere alte Freiheit auch ein Stück weit auf. Einkaufen? – Ja, aber mit Maske. Gottesdienst? – Ja, aber mit Registrierung. Und wenn erst einmal eine Corona-Tracing-App fürs Smartphone kommt, kommen wir Bürger dem Überwachungsstaat wieder einen Schritt näher. Die Installation der App sei natürlich nur freiwillig, heißt es. Freiwillig ist allerdings relativ, wenn der soziale Druck steigt: „Wie, du hast die App nicht?! Mörder! Massenmörder!“ Man wird nicht daran vorbeikommen. Und wenn diese App für Covid-19 erfolgreich war, wird es Stimmen geben, die das Konzept ausweiten wollen. Auf bestimmte Bereiche bezogen macht das die Gesellschaft aber nicht unbedingt sicherer, sondern fördert soziale Konflikte, etwa wenn die App dann anzeigt: „3 von 7 Sexualkontakten der letzten Woche waren Heiratsschwindler.“ Oder: „Morgen fahren Sie wieder mit einem Steuersünder in der U-Bahn.“ Oder die Gruppe eingefleischter Schalke-Fans liest: „Aktuell befinden sich 2 BVB-Anhänger in ihrem näheren Umfeld.“ Und vor allem: Ist eine solche App nicht die Einladung zum Denunziantentum für alle passionierten und panisch plaudernden Petz-People? Vielleicht sollten wir zu der Idee einer Fahndungs-App einfach mal: Abstand halten.

www.benjamin-eisenberg.de

Autor:

Benjamin Eisenberg aus Bottrop

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