Bücherkompass Rezension : Miroslaw Penkow " Wenn Giraffen fliegen"

Foto: Blessing-Verlag

"......
Ein alter Mann findet jahrzehntealte Liebesbriefe an seine kranke Frau und kämpft das erste Mal im Leben mit der Eifersucht. Zwei arbeitslose Jugendliche brechen in eine Kirche ein, um das goldene Kreuz zu stehlen, und finden einen Obdachlosen, um den sie sich kümmern. Ein Student ersteigert auf eBay den Leichnam Lenins als Wiedergutmachungsgeschenk für seinen kommunistischen Großvater. Penkovs preisgekrönte Geschichten sind komisch, zärtlich, tragisch und mit einem herrlichen Sinn für das Absurde. Und jede Geschichte ist so reichhaltig wie ein ganzer Roman....."

Blessing Verlag

Nach dieser schönen Beschreibung habe ich mich gerne für das Buch angemeldet - habe es allerdings ganz anders "erlebt" als der Autor dieser kleinen Zusmmenfassung....:

Als Erstes muss ich hier gestehen, dass mir das Lesen des Buches nicht so leicht fiel, da es von Krieg, Verdrängung, Übereignung und Trennung von Völkern und Dörfern handelt–
Serbien, Mazedonien und die Kommunisten, Bulgarien usw...ernste Themen also.

Es las sich für mich wie ein Querschnitt durch die Kriegs-Geschichte - handelt es gleichermaßen vom Sturz des zaristischen Regims, über Aufleben der Partei, die Enteignung der Bürger zum Wohle der vermeidlichen Ziele: Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit – wie auch vom Schlachtfeld zu Kosovo um 1999 und dem Einmarsch der Vereinigten Staaten auf dem gleichen Feld, wo die Serben sich schon vor langer Zeit den Türken ergeben mussten.

Und auch von einer „Oktober-dorf-revolution“ Oktober 1993 und dem Aufblühen des Kommunismus begünstigt durch die kommunistischen Partisanen und auch gleichermaßen von Geldentwertung, Hyperinflation - um nur einige Themen zu nennen...

Daher habe ich auch etwas gebraucht, um einen Zugang dazu zu finden...wenn man sich aber in die Geschichten einliest, so kommt man den Menschen und ihrem Leid näher - sogar ganz nah - den Menschen in der Umbruchphase und politischer Destabilisierung und auch mit ihren ureigenen Ansichten, dem Gedankengut und ihren Traditionen kommt der Leser ohne Umschweife in Kontakt.

Um so mehr man weiterliest, wird man hineingezogen von den Befindlichkeiten dieser Personen, ihrem Schicksal, ihrem sich Winden gegen Konventionen und Vorschriften, dem Kampf der Jugend und dem Gefühl der „ Befreiung „ von all diesen Zwängen, von den Rollenerwartungen der Familie und der Bürde der Familientraditionen mit dem vermeidlichen einzigen Ausgang: der Auswanderung - in den s.g. kapitalistischen Westen..

Und für die Daheimgebliebenen war die Beschaffungskriminalität an der Tagesordnung zum Überleben und es blieb das Chaos und gleichzeitig das Aufbegehren der Jüngeren wie der Alten – und ihre Sehnsucht nach Stabilität, die vielleicht verständlich dazu führte, dass man dem alten und bekannten nachhängen wollte... Lenin und der Partei.

Für so viele hier und heute ist z.B. die Freude über die erste eigene Blue- Jeans oder den Genuss von einer echten MILKA sicher nicht zu verstehen, oder der Hass auf den Westen und seine Freiheiten und Kosumgüter – leben wir hier doch in Saus und Braus –

Für mich war dieses Gefühl beim Lesen jedoch sehr gut nachvollziehbar, da ich ja auch aus dem polnischen Osten stamme, wo Lebensmittel reglementiert wurden und es was besonderes war, wenn man 1975-1980 mal in den Genuss dieser ausländischen Dinge kam.

Vielleicht wird dieses Buch dem Einen oder Anderen verdeutlichen – wie sich Menschen im Zuge des Wandels gefühlt haben – und auch die Trennungsgedanken und Schmerzen der Personen und Familien werden spürbar und nachvollziehbarer, so wie wir es von Ost – und West Bürgern in Deutschland kennen könnten.

Miroslas Penkow widmet das Buch seinen Eltern, die wohl vieles aus dieser Zeit wiedererkennen würden. Und auch wenn er hier und da versucht, den ernsten Stoff mit kleinen Anekdoten witzig aufzubrechen, so bleibt doch der herbe Nachgeschmack von Krieg und seinen Opfern und von Rassen und Klassenkampf, sowie Traditionen, derer man sich scheinbar niemals wirklich befreien kann, auch wenn man das Vaterland verlässt.

Es bleibt am Ende vielleicht ein Hauch von Verständnis beim Leser über die Ängste und Nöte dieser Menschen, die mitten im Auf- und Umbruch alles verloren haben; Hab und Gut und sogar die eigenen Kinder und Ehemänner, die im Kampf erschossen wurden und die dennoch ihre Familientradition und Geschichte beschützt haben und den Verbliebenen mitgeben wollten.

Ein Kampf – nicht nur ums blanke Überleben – sondern auch ein Kampf gegen das Vergessen werden – als Volk mit eigener Kultur und eigenen Werten-

Mich hat der Stoff sehr bedrückt - habe ich doch selbst nie solche Kriege erleben müssen.
Lediglich das Leben in Polen zur Zeiten des Kommunismus und seinen Auswirkungen auf meine Jugend wurden mir dadurch noch einmal in Erinnerung gerufen.
Und so sehr ich die Traditionenanhaftigkeit in meiner Familie lieb gewonnen habe, sehe ich das Beschützen der Werte jetzt mit einem ganz neuen Auge!

Gerne sende ich das Buch auch weiter- fals es jemand lesen möchte - schreibt mich einfach an.

Autor:

Yvonne Beate Küffner aus Bottrop

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

3 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.