Familiengespräche 2013 - Schlachtfest

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„Nein! Das kannst Du doch nicht machen!“
Der Größte der Familie steht stocksteif zusammen mit seinen sechzehn Lebensjahren in der Tür der Küche der Familie und hält die rechte Hand fest vor die Augen.

„Aber es blutet doch gar nicht“, versteht die Mutter der Familie die Reaktion des Größten der Familie nicht, dessen rechte Hand die Augen bis auf einen mikroskopisch kleinen Spalt verschließt.

„Das is‘ egal“, jammert der Größte der Familie und verharrt noch immer in der Tür der Küche der Familie.

„Aber“, setzt die Mutter der Familie hilfesuchend an, „was hätte ich denn machen sollen?“
Die Mutter der Familie schaut auf das lange Messer in der Hand der Mutter der Familie und auf die Hand des Größten der Familie, die die Augen des Größten der Familie bis auf den mikroskopisch kleinen Spalt verschließt.

„Die Tür abschließen“, wirft der Größte der Familie der Mutter der Familie gequält drei vorwurfsvolle Worte an den Kopf und stiert durch den mikroskopisch kleinen Spalt auf das lange Messer in der Hand der Mutter der Familie. „Ich hatte doch eine Verbindung zu ihm.“
Die Stimme des Größten der Familie nimmt einen weinerlichen Ton an, während er die rechte Hand von seinen Augen löst. „Zweieinhalb Jahre war er in meinem Zimmer.“

„Nein“, widerspricht die Mutter der Familie, deren Hand das lange Messer wieder ansetzt, um ihr Handeln zu vollenden, „seit Ostern dieses Jahres erst.“

„Da siehst Du mal, wie lange mir das vorkam. Nur das ist mir von ihm geblieben.“ Der Größte der Familie macht entschieden einen Schritt nach vorn, greift nach dem kleinen goldenen Halsband auf dem Küchentisch der Küche der Familie und hält es in die Höhe. Der Schmerz des Größten der Familie schwebt jetzt in Augenhöhe sichtbar durch die Küche der Familie, um sich an den Wänden festzuklammern.

„Ach Gott. Davon hab‘ ich ja schon ganz schön viele.“ Die Mutter der Familie hält einen kurzen Moment inne. „Die liegen alle oben in der Box im Schlafzimmer. Wenn demnächst die Staatsanwaltschaft hier in diesem Haus ermittelt, werden die wohl ziemlich viele Mordfälle aufdecken.“

Der Jüngste der Familie betritt die Küche der Familie, weil er Hunger hat.
„Bruder“, fleht der Größte der Familie ebenso verzweifelt wie hilfesuchend den Jüngsten der Familie an und hält ihm fuchtelnd das kleine goldene Halsband vor die Nase.

Der Jüngste der Familie zeigt sich von dem kleinen goldenen Halsband in der Hand des Größten der Familie und dem emotionalen Ausbruch des Größten der Familie ebenso wenig beeindruckt, wie von dem langen Messer in der Hand der Mutter der Familie.„Ich bring meinen immer selber um“, zuckt er die Schultern und holt sich Brot, Wurst und Butter aus dem Kühlschrank.

„Wann isser denn fertig?“ Der Vater der Familie reibt sich beim Betreten der Küche der Familie erwartungsvoll die Hände.
Die Mutter der Familie schaut von dem langen Messer in der Hand der Mutter der Familie auf.
„Der Tiroler Nusskuchen? Das dauert noch ein bisschen. Ich muss ja für den Teig erst noch den Schoko-Osterhasen kleinhacken.“

© Sabine Schemmann, Freie Erzählungen Oktober 2013

Autor:

Sabine Schemmann aus Bochum

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